147 - Panik in Porto
der Journalist. „Älter als dreißig. Also nichts für den Ausklapper in der Heftmitte. Mir kommen bei ihrem Anblick einige literarisch verwertbare Gedanken."
„Meine Gedanken", erklärte Lutz eindeutig, „sind keineswegs literarisch. Thomas denkt auch recht handfest darüber."
„Das Leben ist grausam wie die See", zitierte Oliver und hob das Tablett auf. „Das große Glück haben immer die anderen."
„Abwarten."
„Ich?" fragte Oliver vorwurfsvoll. „Mit fast fünfzig? Da ist schon alles gelaufen, Lutz."
Sie verteilten die Gläser. Als Roquette den Journalisten ansah und dankte, glaubte er Interesse und mehr als flüchtige Sympathie aus ihrem Blick herauszulesen. Er lächelte verhalten zurück und zog sich wieder in sein eigenes Reich der, phantastischen Gedanken und Überlegungen zurück.
Der Abend dauerte sehr lange.
Roquette Boussague wußte mit endgültiger Gewißheit, daß ein aufregendes und schönes Kapitel zu Ende ging. Die Dämonen von Le Castellet, die ihr Leben ruiniert hatten, waren vernichtet. Ihr Wissen hatte sie dazu geführt, Charlie das Wrack zu zeigen und, mit Hilfe von Dorian Hunter, dem Dämonenkiller, den alten Dämon aus Ägypten zu töten. Jetzt erfuhr sie, daß eine weitere Geschichte zur bestürzenden, tödlichen Wahrheit geworden war: die Dämonen im Turm zu Porto.
Charlie durfte nicht noch einmal in eine solche Auseinandersetzung hineingezogen werden.
Sie war inzwischen finanziell unabhängig und konnte versuchen, abermals einen Teil ihrer Alpträume loszuwerden. Nach Korsika und dort nach Porto zu kommen - es war leicht und dauerte weniger lang als einen halben Tag.
Thomas Schyller und seine drei Freunde?
Vielleicht brauchte sie die Männer. Vielleicht wurde sie allein mit der Dämonenschar nicht fertig. Vielleicht stimmte ihr Wissen nicht mehr, das sie von Dorsan, ihrem Lehrmeister in den Verliesen von Le Castellet, übernommen hatte.
„Ich muß nach Porto!" sagte sie leise. Sie lag im Liegestuhl auf der Terrasse von Charlies Apartment in Port Grimaud. Über ihr, seitlich des Sonnensegels, funkelten riesig groß und stechend klar die Sterne. Sie zweifelte nicht eine Sekunde lang daran, daß dieser unglückliche Lastwagenfahrer das Opfer der Dämonen geworden war. Gisebauxe und ihre verheerende Schar von Blutsaugern! Charlie würde überall nach ihr suchen. Selbstverständlich auch in der Bucht und zwischen den Felsen von Porto. Sie wollte ihn nicht verlassen, aber darauf lief es wohl hinaus.
Dorian Hunter hatte ihr gezeigt, daß das neue Leben lebenswert war.
Charlie Arthold liebte sie und vertiefte diese Gewißheit. Aber auch er konnte nichts gegen ihre Alpträume tun, die wieder angefangen hatten, nachdem Seth-Hega-Ib sich auf den anderen Schatztaucher gestürzt und seinen Körper und Verstand übernommen hatte.
Was tun?
Es gibt keinen anderen Weg. Ich muß in den Calanche-Turm!
Sie konnte noch immer, wenn sie diese Dämonen vernichtet und die Bevölkerung vor einem Wiederaufleben des alten Grauens beschützt hatte, zu Charlie zurückkehren.
Aber da gab es noch eine andere, weitaus wichtigere Einschränkung: Roquette meinte, sicher zu wissen, daß ihr neues Leben ein Geschenk war. Es lief schneller ab als das Leben der anderen Menschen. Sie konnte nichts tun, um dieses Dahinrasen der Stunden und Tage zu bremsen oder anzuhalten. Sie fühlte, daß sie schneller alterte als beispielsweise ihr Geliebter.
Wie lange dauerte es, bis sie verwelkt sein würde? Sie wußte es nicht.
Wie schnell ging dieser Prozeß vor sich?
Um optisch so zu tun, als sei sie noch immer jünger als dreißig Jahre, hatte sie abermals ihr Haar schneiden und in eine neue, „jüngere" Frisur legen lassen. Die prüfenden, analysierenden Blicke von Oliver, dem deutschen Journalisten, hatten sie in dieser Einsicht bestärkt. Es war wohl das beste, wenn sie Charlie verließ und keine Spuren hinterließ.
An diesem Punkt ihrer Überlegungen angelangt, stand sie auf und ging die steile Treppe hinunter in den Wohnraum. Charlie lag auf dem Laken des Bettes, las und wartete auf sie. Zwei Glaspokale voller dunklen Rotweins standen neben dem Bett.
„Du schläfst noch nicht?" fragte sie leise. Charlie klappte das Taschenbuch zu, lehnte sich ans Kopfteil und antwortete:
„Wie könnte ich. Ich warte auf dich. Und darauf, daß du mit deinen Gedanken ins Reine kommst." „Das ist leichter gesagt als getan", erwiderte sie und küßte ihn hungrig auf den Mund.
„Ich weiß."
Nach einer Weile
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