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147 - Stunde X

147 - Stunde X

Titel: 147 - Stunde X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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geschaffen worden war, im Orbit des Zielplaneten zu kreisen, gab es auf, seine Schwingen zu bewegen. Sein Bewusstsein versank in einem warmen, klebrigen Nebel. Und es versank mit einem erleichterten Seufzer darin.
    Als Thgáan erwachte, schwebte er auf der Nachtseite des Zielplaneten, unter ihm eine schwarze Wand, über ihm Sternengeglitzer. Seine Schwingen bewegten sich wie von selbst. Höchstens neun Kilometer trennten ihn noch von der Erdoberfläche. Wo er sich befand, wusste er nicht. Er wusste nur, dass es vorbei war, dass er abstürzte, dass sein Bewusstsein erlöschen würde.
    Dies war der Augenblick, in dem etwas seinen Körper heiß durchzuckte; ein Gefühl, das er nicht kannte. Sein Stoffwechsel schnellte hoch bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit, sein Energiehaushalt erfasste die äußersten Schichten seiner dicken Haut. Eis schmolz in seinen Augen, auf seinen Schwingen, in seinen Rachenlöchern. Seine Muskulatur arbeitete plötzlich mit nie gekannter Kraft.
    Kilometer um Kilometer gewann er an Höhe. Ein unbekannter Wille erfüllte ihn: der Wille zu existieren, ohne Zweck, ohne Ziel, ohne Auftrag, einfach nur um der Existenz Willen.
    Er konzentrierte sich auf dieses neuartige Lebensgefühl, er kämpfte und stemmte sich gegen den Tod. Eisplatten brachen von seinen Schwingen, von seinem Rücken, von seinem Schwanz.
    Auf einmal begriff er, was ihn Minuten zuvor so heiß durchzuckt hatte:
    Angst.
    Es war das, was die Primärrassenvertreter Angst nannten! Und mit der Angst erfüllte ihn plötzlich auch der Wunsch zu leben, und mit dem Wunsch zu leben der Wunsch, dieses Leben selbst wählen zu können.
    Irgendwann erreichte er seine gewohnte Flughöhe von etwas mehr als achtundzwanzig Kilometer. Eine dicke Dampfschicht hüllte ihn ein. Ein anderer Thgáan als der, der hinab gestiegen war, um eine Botschaft an den Sol abzusetzen, kreiste jetzt im Orbit. Ein Thgáan, der wusste, dass er fortan auf sich allein gestellt sein würde; ein Hauptmodell erster Ordnung, dem keine Herren mehr den Weg weisen konnten. Ein Hauptmodell erster Ordnung, das fortan gezwungen war zu wählen…
    ***
    London, Mitte September 2521
    Die um eine Nuance zu freundliche Stimme der virtuellen Japanerin drang aus den Deckenlautsprechern und wurde von den Translatoren in alle hier vertretene Sprachen übersetzt.
    Außer ihr hörte man nichts. In den Pausen zwischen ihren Sätzen herrschte konzentrierte Stille in der Westminster Hall.
    Matthew Drax blickte in die Runde – viele angespannte Gesichter sah er, einige grimmige, auch einige sorgenvolle. Alle Augen waren auf den Monitor gerichtet und verfolgten die Bewegung der roten Pfeile in Richtung Kratersee.
    »In diesem Gebirge wartet Rulfan von Salisbury auf einen Marschbefehl«, sagte Kyoko. »Er kommandiert eine Armee von hundertachtzig Männern und Frauen. Außer über Armbruster, Bögen und Schwerter verfügt die Truppe über neun Lasergewehre.«
    Sie deutete auf einen rot markierten Kreis. »Hier in Berlin haben wir einen Sammelpunkt vorgesehen für etwa zwanzig kleinere Kampfgruppen, die in diesen Stunden bereits von Skandinavien, den Ruinen Hamburgs und einigen nördlichen Siedlungen aus nach Berlin aufgebrochen sind. Auch ein über zweihundert Köpfe starkes Heer aus der Königssiedlung Leipzig ist dorthin unterwegs. In Berlin sollen die von den Daa’muren erbeuteten Schusswaffen modernerer Bauweise unter diesen Truppen verteilt werden. Von dort aus sollte in spätestens sieben Tagen der letzte Kampfverband nach Osten aufbrechen, sobald unsere Truppentransporter eingetroffen sind…«
    Matt kannte die strategische Planung in groben Zügen bereits. Dass Kyoko, die E-Butlerin des Londoner Generals, allerdings Zeitangaben machte, überraschte ihn. Er vermutete einen taktischen Schachzug Yoshiros: Die durchweg kurzfristigen Datumsvorgaben erhöhten den Druck auf den Kriegsrat. Der Commander wusste nicht, was er davon halten sollte.
    Einerseits blieben unter Zeitdruck getroffene Entscheidungen naturgemäß immer unausgereift. Andererseits war tatsächlich keine Zeit mehr zu verlieren; auch nicht mit langen Diskussionen über die personelle Besetzung des Kommandostabes. Yoshiro, dieses Schlitzohr, spekulierte offensichtlich auf den Posten des Kommandeurs.
    »Moskau und Perm sind die nächsten Stützpunkte, an denen vereinigte Heerzüge sich sammeln werden, um sich mit Waffen und Proviant einzudecken.« Kyoko deutete auf sechs Pfeile, die sich Richtung Moskau, und sieben, die

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