1478 - Tiefsee-Schrecken
andere folgen, die ebenfalls auf eine besondere Art und Weise überlebt hatten.
Ich schob mich vor meinen Begleiter, was diesem nur recht war. So war ich nahe an die Nackte herangekommen, die mich aus ihren ungewöhnlichen Augen anschaute.
Der Blick war ein wenig verschwommen, nicht mehr so starr wie eben noch, und in keinem Fall böse. Ich war gespannt darauf, ob und wie sie sich ausdrücken konnte, und wartete deshalb darauf, dass sie etwas tat oder mich ansprach.
Das passierte vorerst nicht.
Sie blieb stehen.
Ihr Blick galt mir, und nach einem leichten Zucken hob sie den rechten Arm. Es blieb nicht bei dieser Bewegung, denn sie streckte ihn aus und hielt mir so die Hand entgegen.
Ein Friedensangebot?
»Passen Sie auf, was Sie tun, John…«
»Ich weiß.« Mein Blick richtete sich auf ihre Hand, die sie mir weiterhin entgegengestreckt hielt.
Ich fasste zu.
Es war alles blitzschnell abgelaufen. Das Vorzucken der Hand, der schnelle Griff.
Die Nackte zuckte nicht mal zusammen. Sie stand steif wie ein Brett, und so konnte ich mich auf das konzentrieren, was ich fühlte.
Ja, die Hand war keine Täuschung. Ich hielt sie fest, aber ich verspürte keinen Gegendruck. Sie lag praktisch schlaff in meiner Rechten, und noch etwas beschäftigte mich.
Es war eine Hand ohne Leben. Dabei ging es mir nicht nur um einen Gegendruck, dieser Körperteil strahlte keinerlei Wärme aus.
Er blieb kalt oder neutral. Das wiederum erinnerte mich an die Berührung einer Toten. Auch da lebte die Haut nicht mehr. Die Erklärung dafür lag auf der Hand. Ich hatte es hier mit einer Toten zu tun, die trotz allem noch existierte.
Ich hielt die Hand fest. Ich konnte bestimmen, wann ich sie wieder losließ. Seltsamerweise kam mir das nicht in den Sinn. Ich hielt sie weiterhin fest und wartete darauf, dass sie etwas unternahm. Dass sie es leid wurde, von mir festgehalten zu werden.
Es trat nicht ein!
Orson Keene stand weiterhin in meiner Nähe. Er gab einen Laut ab, der sich wie ein Lachen anhörte, um dann zu fragen: »Was fühlen Sie denn?«
»Nichts. Die Hand ist neutral. Es gibt keine Körperwärme, die ich hätte fühlen können.«
»Dann lebt sie nicht richtig.«
»Kann man so sagen.«
»Und jetzt?«
Ich kannte die Antwort nicht. Auf der anderen Seite wollte ich Keene nicht enttäuschen. »Sie wird einen Grund gehabt haben, zu uns an Bord zu kommen. Ich bin der Ansicht, dass wir noch etwas warten sollten.«
»Worauf?«
Nicht Keene bekam eine Antwort, sondern ich. Sie überraschte mich, denn ich stellte fest, dass die Nackte durchaus sprechen konnte. Sie gab mir ihre Botschaft, aber sie sprach sie nicht normal aus.
Ich hörte das Flüstern, das mir entgegen schwang, und es dauerte eine Weile, bis ich die Botschaft verstand.
Die Tiefe wartet. Ich werde dich mitnehmen, schöner Mann. Du musst zu mir kommen, zu mir…
Im ersten Moment glaubte ich an eine Täuschung. Oder wollte daran glauben, aber sie hatte gesprochen, und ich hatte sie auch verstanden, da brauchte ich mir nichts vorzumachen.
»Wer bist du?«
»Elaine…«
Verdammt, sie hatte mich verstanden, und sie hatte sogar einen Vornamen. Sie hätte tot sein müssen, war es aber nicht, und so dachte ich an ein hartes Schicksal, das hinter ihr lag. Irgendwann vor zweihundert Jahren war es geschehen.
Wer hatte sie so lange am Leben erhalten?
Die Antwort hätte sie mir geben können. Ich wollte die Frage auch stellen, nur kam sie mir zuvor. Es war zuerst nur ein leichter Ruck, der mich nach vorn zog. Ich stolperte zwangsläufig auf sie zu, was ich allerdings abbremsen konnte.
Komm zu mir, schöner Mann. Sie sind alle zu mir gekommen. Früher in alter Zeit…
Das glaubte ich ihr gern. Nur hatte ich keine Lust, mich von ihr entführen zu lassen. Ohne den Kopf zu drehen, sprach ich Orson Keene an.
»Starten Sie den Motor! Wir verschwinden von hier!«
Er begriff nicht gleich. »Wie – ähm…«
»Verdammt, wir hauen ab!«
»Das ist ein Wort.« Die Antwort hatte sich wie ein Jubelschrei angehört. Ich sah ihn nicht, doch an den polternden Echos auf den Bootsplanken konnte ich seinen Weg verfolgen.
Elaine hielt mich fest. Es war nicht nur das Halten, sie wollte mich auch näher haben, und ich hörte dabei wieder ihre Stimme.
Sie alle sind zu mir gekommen, alle…
»Wer denn?«
Ich wollte sie!
Sie schien verrückt nach Männern gewesen zu sein. Es machte ihr auch nichts aus, dass sie nackt war, aber ich wollte nicht mit ihr über Bord springen und in die Tiefe
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