1479 - Die Totenfrau vom Deichhotel
Auf meinen Reisen habe ich das schon mehr als einmal erlebt. So was ist immer schlimm.«
»Du sagst es.«
Andreas trank einen Schluck Kaffee, während sich Thomas an das Wasser hielt.
»Hat es denn einen Grund gegeben, dass du dir einen genommen hast? Ärger mit der Frau oder so?«
»Nein, das nicht. Ich hatte nur Besuch.«
»Wie und von wem?«
»Von einer Frau.«
»Hä?«
»Die war aber nicht so richtig eine Frau, sondern mehr eine Geistergestalt, verstehst du?«
Anstatt zu lachen, reagierte Brass ganz anders. Entgegen seines sonstigen Temperaments blieb er still, und sein Gesicht nahm noch an Blässe zu.
»Hast du was?«
Brass schüttelte den Kopf.
»Warum bist du dann so blass geworden?«
»War die Frau ein Geist?« flüsterte er.
»Genau.«
»Scheiße.« Brass winkte ab. »Das – das – gibt es doch nicht…«
»Wieso?«
»Die habe ich auch gesehen.«
Fast schlagartig wurde Thomas nüchtern. »Du?«
»Ja, ich lüge nicht.«
»Wo denn?«
»In meinem Zimmer. Erst am Fenster, dann war sie an meinem Bett, verflucht.«
»Hat die auch was gesagt?«
»Ja.«
»Was denn?« Andreas beugte sich vor. »Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«
»Sie hat was gesagt. Sie hat davon erzählt, dass sie gern erlöst wäre. Sie und andere.«
Thomas Pestel trank seinen Kaffee, ohne es richtig zu merken.
»Das ist auch bei mir so gewesen.«
Beide Männer schwiegen. Nach einer Weile und zwei gegessenen Scheiben Lachs fragte Andreas: »Was machen wir denn jetzt?«
»Nichts.«
»Wieso?«
»Das glaubt uns keiner.«
»Wie man’s nimmt«, murmelte Andreas. »Aber habe ich dir erzählt, dass diese komische Frau eine ungeheure Ähnlichkeit mit einem weiblichen Gast aus diesem Hotel hier hatte?«
»Nein, hast du nicht.«
»Ist aber so.«
Thomas Pestel überlegte. »Dann ist sie vielleicht kein Geist, sondern eine, die sich nachts in fremde Zimmer schleicht, um was zu erleben oder so. Du weißt schon, was ich meine.«
»Nee, das nehme ich dir nicht ab.«
»Warum nicht?«
Andreas lehnte sich zurück. »Hör mal, ich bin ohne meine Familie hier. Das hätte sie doch ausnützen können.«
»Vielleicht warst du nicht ihr Typ.«
»Haha, darf ich mal lachen?«
»Kann doch sein.«
»Quatsch, Thomas. Dahinter steckt etwas ganz anderes, lass dir das gesagt sein.«
»Warum bist du dir so sicher?«
»Weil ich hier schon mal so etwas wie einen Horror erlebt habe. Es liegt ungefähr drei Jahre zurück. Da ging es um den Mörder-Mönch. Das war auch verdammt hart, kann ich dir sagen. Es hat damals sogar einen Toten gegeben. Hier ist einiges nicht geheuer. Wir sollten auf jeden Fall die Augen offen halten.«
»Und was ist mit Claasen?«
Brass schob die Unterlippe vor. »Tja, das weiß ich auch nicht so recht. Bisher ist ja nichts Schlimmes passiert. Sollten sich die Vorgänge verdichten, müssen wir ihm Bescheid sagen.«
»Einverstanden.« Thomas Pestel wischte über sein Gesicht. »Und ich habe gedacht, hier einen ruhigen Urlaub verbringen zu können.«
»Kannst du auch. Aber hier ist immer was los. Mir war es noch nie öde. Es ist mir auch egal, ob ich es mit einem Mörder Mönch oder einer Geisterfrau zu tun habe.«
»Danke, ich werde es mir merken…«
***
Es gibt bestimmte Orte auf der Welt, da habe ich einfach das Gefühl, nach Hause zu kommen. So verhielt es sich auch mit der Insel Sylt, die ich nicht als Urlauber besuchte, sondern in meiner beruflichen Eigenschaft als Spezialist für übersinnliche Fälle.
Wie ich Claas Claasen kannte, hatte er bestimmt nicht ohne Grund angerufen. Es brannte sicher mal wieder. Ohne dass ich Genaues wusste, hatte ich zugestimmt, denn ich kannte den Besitzer des Deichhotels recht gut. Grundlos machte er nicht die Pferde scheu. Er würde wieder auf seiner Insel Probleme bekommen haben.
Zum Glück gibt es Flugzeuge und auch streiklose Zeiten. Ich war von Dundee nach London geflogen und dort umgestiegen in eine Maschine nach Hamburg. Alles hatte wunderbar geklappt. Dann war ich mit einem Leihwagen über die Autobahn Richtung Flensburg gefahren, um in Niebüll mit meinem Golf als zweitletztes Fahrzeug die Autofähre über den Hindenburgdamm zu erreichen.
Der Rest war Entspannung. Die Fahrt über den Damm dauerte knapp vierzig Minuten, und wer dann die Insel sah, der entdeckte zuerst den Kirchturm von Keitum.
Ich war natürlich gespannt. Zugleich verspürte ich eine innerliche Freude, denn ich freute mich wirklich darauf, das Deichhotel und seinen Besitzer
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