1479 - Die Totenfrau vom Deichhotel
Halluzinationen leiden!«
»Tust du nicht, Andreas.« Im Moment hatte ich die Bilder vergessen, denn wer mich da noch immer ungläubig anstarrte, war Andreas Brass, den ich beim Fall des Mörder-Mönchs kennen gelernt und mit dem ich schon so manchen Drink genommen hatte.
»John! John Sinclair!« rief er. »Verdammt, das kann nicht wahr sein!«
»Komm her und lass dich begrüßen.«
»Verdammt, das tue ich auch.« Er schüttelte den Kopf. »Mann, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Da hätte mir der alte Claasen auch Bescheid geben können.«
»Hat er aber nicht.«
»Dieser Geheimnistuer.«
Brass schüttelte den Kopf. Er lachte dabei und rief: »Das ist ein Hammer!«
Erst danach begrüßten wir uns und klatschten uns dabei mehrere Male ab. »Aber jetzt sag nicht, dass du hier Urlaub machst, John.«
»Wieso nicht?«
»Du nicht.«
»Aber du?«
»Klar.« Er saß längst auf der Couch und rieb seine Hände. »Sogar ohne mein Weib und die beiden Talibans.«
Ich hob die Augenbrauen. »Talibans?«
»Ja, meine Kinder. Der Große ist jetzt in der Schule, aber ich sage dir, das ist ein Stress mit den beiden.«
»Und das bei dem Vater.«
»Ja, genau!« jubelte er und schlug mir auf die Schultern. Er wunderte sich noch immer über meine Anwesenheit und wurde plötzlich ernst. »Jetzt sag mal, warum du wirklich hier bist. Geht es um den Mönch?«
»Nein.«
»Hätte mich auch gewundert. Der alte Knabe steht oben an der Kirche und ist stumm. Warum bist du dann hier?«
»Es geht um eine andere Sache. Claas rief mich an und bat um meinen Besuch.«
»Dann ist was im Busch.«
»Kann sein.«
»Nein, es ist sogar was im Busch.«
Brass senkte seine Stimme, was man bei ihm nicht oft erlebte. »Genaues weiß ich nicht, aber in der vergangenen Nacht ist etwas passiert.«
»So? Was denn?«
»Hier irrt ein Geist durch das Hotel. Eine Totenfrau oder so.«
»Hast du sie gesehen?«
»Ja. Und beim Frühstück heute Morgen sprach ich mit einem anderen Gast. Thomas Pestel. Er ist mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn hier. Der hat die Frau ebenfalls gesehen, eine blonde und halb nackte Person, die letzte Nacht in seinem Zimmer erschien. Sie bewegte sich wie ein Geist, und weißt du, was der absolute Hammer ist?«
»Nein!«
»Die sah so aus wie diese Malerin, deren Bilder du hier siehst.«
»Wie Sigrid Böhme?«
»Klar doch.«
»Davon hat mir auch Claas erzählt.«
»Aha, dann weiß ich jetzt, weshalb du hier bist. Er hat dich wegen der Totenfrau kommen lassen.«
»Kann sein.«
Brass grinste nur. »Auf jeden Fall freue ich mich, dass ich dich getroffen habe. Von den anderen Typen ist keiner hier, mit denen wir damals den Mörder-Mönch gejagt haben. Und Hajo Becker hat es ja nun mal erwischt – leider.«
»Na ja, Andreas. Jedenfalls werden wir uns bestimmt noch sehen.«
»Toll, der Rausschmiss.«
»Wieso?«
»Du willst mich loswerden.«
»In diesem Fall schon.«
»Haha, ich kann mir jetzt auch denken, warum du hier sitzt. Das hat was mit den komischen Bildern zu tun.«
»Kann sein.«
Er stand auf. »Gut, ich habe meinem Weib versprochen, mich nicht mehr in solche komischen Vorgänge einzumischen, aber langweilig wird es hier bestimmt nicht.«
»Das kann schon sein.«
»Wir sehen uns.« Er winkte mir noch mal kurz zu und zog ab. Als er an den Bildern vorbeiging, betrachtete er sie mit scheuen Blicken.
So ganz geheuer waren sie ihm nicht.
Ich wartete auf Claas Claasen und Sigrid Böhme. Auf die Künstlerin war ich besonders gespannt. Sie war in einem anderen Zustand tatsächlich von einigen Zeugen gesehen worden, und das gab mir zu denken. So musste ich mich fragen, wer tatsächlich hinter ihr steckte. Wer war sie überhaupt?
Es war schwer, eine Antwort auf die Frage zu geben, und ich wollte mich auch nicht in irgendwelchen Vorurteilen ergehen. Deshalb war es wichtig, dass ich sie persönlich kennen lernte.
Und genau das war nach knapp zwei Minuten der Fall…
***
Claas Claasen brachte die Künstlerin mit, die auf mich einen völlig normalen Eindruck machte. Die Totenfrau war mir beschrieben worden, aber eine große Ähnlichkeit hatte Sigrid mit ihr auf keinen Fall.
Sie war eine moderne junge Frau, die eine beige Cordhose und eine braune schlichte Bluse mit einem spitzen Kragen trug. Ihre Füße steckten in weichen Slippern. Das blonde Haar war toupiert und wies einige dunklere Strähnen auf.
Claas stellte uns vor. Wir gaben uns die Hände, und ich merkte, dass ihr Druck ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher