1485 - Er spielte auf zum Höllentanz
Fantasiegeschöpf, und sie hätte auch aus einem bösen Märchen stammen können. Jemand, der aus seiner Geschichte hervorgetreten war, um in die reale Welt einzudringen. Ein böses Geschöpf mit einer noch böseren Musik.
Aber jetzt war der Gnom weg!
Alan schaute wieder hoch. Da ihm die Tür gegenüberlag, fiel sein Blick automatisch auf sie.
Und da sah er sie stehen!
Eine fremde Frau…
***
Jemand schien sein Herz zu umklammern und es zusammenzudrücken. Was er da sah, war unmöglich. Das war ein verfluchtes Trugbild. Es konnte einfach nicht wahr sein. Aber dann war der Gnom auch keine Realität gewesen.
Alan starrte die Frau an.
Auf ihrem Kopf wuchsen füllige dunkle Haare. Sie trug eine dunkle Hose und einen helleren leichten Pullover. Sie schaute ihn an, er blickte zurück und hatte dabei das Gefühl, dass sie weniger existent war als der verfluchte Geiger.
Sie sagte auch nichts. Sie schaute ihn nur an.
Dann erlebte er ihre erste Reaktion. Sie ging einen Schritt nach vorn, schaffte aber den zweiten nicht mehr.
Mit einem Mal verlor sich die Dichte ihres Körpers. Er schien aufzuweichen, seine Strukturen verschwommen, und wenige Augenblicke später war sie nicht mehr vorhanden.
Aus Alan Scotts Mund drang ein Krächzen. Er streckte noch den rechten Arm aus, aber diese Geste hatte etwas Hilfloses. Zurückholen konnte er die unheimliche Person nicht.
Er sank in seinem Sessel zusammen. Was er erlebt hatte, war verdammt hart gewesen. Zwei unwahrscheinliche Dinge zur selben Zeit.
Etwas hatte sich in sein Leben gedrängt, was er nicht mehr begreifen konnte. Man konnte von einem furchtbaren Riss sprechen, der ihn da geteilt hatte.
Es gab die beiden Seiten.
Zum einen die reale und zum anderen die Seite, die nicht real und für ihn trotzdem zu einer Realität geworden war. Etwas, das man nicht erklären konnte, das es aber trotzdem gab und das sich jetzt vorgewagt hatte, um von ihm Besitz zu ergreifen.
Er schüttelte den Kopf und fing an zu lachen. Erst leise, später lauter. Da schlug er sich schon auf die Schenkel. Wer war denn hier verrückt? Er oder die Welt?
»Beide«, flüsterte er. »Wir sind beide verrückt. Der Gnom und ich.«
Aber was war mit der Frau?
Sie war zu ihm gekommen. Er hatte sich nicht geirrt. Und nun gab es sie nicht mehr. Sie war einfach wieder verschwunden.
Gehörte sie zu dem Geiger?
Auch da wusste er keine Antwort, er war innerlich fertig und hatte das Gefühl, doppelt so schwer geworden zu sein, denn es fiel ihm nicht leicht, sich aus dem Sessel zu erheben. Zitternd blieb er von ihm stehen und war froh, nicht zu fallen.
Er beugte sich nach vorn. Er holte tief Luft und spürte in seinem Mund den bitteren Geschmack. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Es war schlimm für ihn und noch immer nicht nachvollziehbar. Er musste mit zwei Wahrheiten zurechtkommen. Und er fragte sich, warum es gerade ihn erwischt hatte.
Als er den ersten Schritt nach vorn tat, kam er sich vor wie jemand, der das Gehen erst noch lernen musste. Er war leicht eingeknickt, riss sich dann aber zusammen.
Es gab keinerlei Veränderungen in seiner Laube. Die Wände waren die gleichen geblieben, die Möblierung hatte sich ebenfalls nicht verändert. Es war alles wie immer.
Diesmal trank er den Gin ohne Cola.
Das Zeug brannte in der Kehle. Er stellte die Flasche weg. Er schaute auf seinen Geigenkasten, und ihm schoss ein wilder Gedanke durch den Kopf.
Jetzt spielen?
Zum ersten Mal seit längerer Zeit entspannte sich sein Gesicht wieder. Er lächelte sogar, als er auf den Geigenkasten zuging und ihn aufklappte.
Mit glänzenden Augen schaute er auf sein Instrument, ohne das er sich ein Leben nicht vorstellen konnte. Er war gut, das hatten ihm Menschen, die etwas von Musik verstanden, gesagt. Natürlich erreichte er nicht die Klasse der weltbesten Geigerinnen oder Geiger, aber er spielte auch die schweren Partituren eines Paganini, und das hieß was.
Wenn er seine eigene Musik hörte, dann ging es ihm gut. Und er wollte, dass es ihm gut ging.
Er holte das Instrument hervor. Der Bogen folgte, und der Glanz in seinen Augen nahm zu.
Noten waren in diesem Fall überflüssig. Er hatte viele Stücke im Kopf. Beethoven, Mozart, Brahms, aber auch Stücke aus Opern und Operetten. Es kam immer darauf an, in welcher Stimmung er sich befand.
Seine war im Moment ambivalent. Und so entschied er sich für das Violinensolo aus »Orpheus in der Unterwelt«. Diese wunderbare Melodie verkörperte die
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