1486 - Im Tempel der Furcht
Sternen. Das konnte auch völlig anders laufen.
Bevor ich das Haus betrat, warf ich noch einen Blick zurück. Ich sah den Kollegen Nichols nicht mehr, und ich bekam auch nichts anderes zu Gesicht. In der Dunkelheit bewegte sich nichts. Nur ferne Geräusche drangen als Summen an meine Ohren.
Ich drehte mich wieder um und drückte die Tür, die nicht ins Schloss gefallen war, nach innen.
Im Haus war alles ruhig.
Zu ruhig?
Ich wollte schon Rosy Kellers Namen rufen, als mich irgendetwas davon abhielt. Es war kein konkreter Grund, aber es war etwas vorhanden, das mich störte.
Lag es an der Stille?
»Rosy…?« Ich rief den Namen halblaut in den Flur hinein und erhielt keine Antwort.
Das passte mir nicht. Eine Gänsehaut rann als kalter Schauer über meinen Rücken. Ich machte mir Vorwürfe, das Haus verlassen zu haben. Ich hätte Rosy Keller nicht allein lassen dürfen. Ich dachte an mein Kreuz, das mich vor einer Gefahr gewarnt hatte. Aber man ist eben auch nur ein Mensch, und als solcher reagiert man auch menschlich. Da war ich keine Ausnahme.
Einen zweiten Ruf verkniff ich mir. Ich glaubte auch nicht, dass sich Rosy in diesem Teil des Hauses aufhielt. Sie fühlte sich in ihrem Büro am wohlsten. Dort hatte ich sie auch zurückgelassen, und deshalb wandte ich mich der nahen Tür zu.
Sie war nicht abgeschlossen. Ich hätte völlig normal den Arbeitsraum betreten können, was ich allerdings nicht tat. Etwas hielt mich davon ab.
Deshalb drückte ich die Tür behutsam auf. Keine Frauenstimme empfing mich. Das Licht brannte noch immer, und ich schaute quer durch den Raum auf den Stuhl.
Dort saß jemand.
Es war nicht Rosy Keller!
Ich kam nicht mehr dazu, genauer hinzuschauen. Schräg hinter mir entstand ein Knurrlaut, und als ich mich nach rechts drehte, tat ich genau das Falsche.
Ich lief voll in den Schlag hinein, der seitlich meinen Kopf erwischte.
Für mich gingen die Lichter erst mal aus…
***
Rosy Keller wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, als John Sinclair ihr Haus verlassen hatte. In den ersten Sekunden kam sie sich sehr einsam und verlassen vor. Sie hatte auf seine Hilfe gesetzt. Sie wollte auch nicht allein sein, aber jetzt war sie es, und sie fragte sich, ob sie sich korrekt verhalten hatte.
Einige Male atmete sie tief durch. Die Haut an ihrem Hals zuckte.
Sie ging durch ihren Arbeitsbereich und blickte sich dabei um wie eine Fremde.
Es war alles so ungewöhnlich und auch seltsam geworden. Was sie auch dachte, sie brachte nichts in die Reihe. Es passierte nichts, und trotzdem liefen die Dinge irgendwie aus dem Ruder.
Plötzlich hatte sie den Eindruck, nicht mehr allein zu sein. Jemand beobachtete sie. Rosy wusste nicht, wo dieser Jemand steckte und ob es ihn überhaupt gab, aber für sie war er vorhanden, daran gab es nichts zu rütteln.
Nur – wo steckte er?
Gab es Menschen oder Personen, die sich unsichtbar machen konnten? Sie dachte permanent an den Duke of Kent, und ihm traute sie alles zu. Was ihr zusätzlich noch ungewöhnlich vorkam, war die Tatsache, dass sie keine Furcht verspürte. Trotz ihres Zustands fühlte sie sich irgendwie geborgen. Jemand beschützte sie und gab ihr das Gefühl, dass ihr nichts geschehen konnte.
Das gab ihr ein Stück Hoffnung zurück, aber dieser Jemand war nicht sichtbar, und das beunruhigte sie.
Rosy überlegte, ob sie ihr Haus ebenfalls verlassen und nach draußen laufen sollte, wo sich John Sinclair aufhielt. Ihn hatte sie sich schließlich als Helfer ausgewählt. Den Schritt durch die Tür schaffte sie einfach nicht. Sie glaubte, an einem unsichtbaren Gummiband zu hängen, das sie immer wieder zurück zog.
Rosy Keller hatte so etwas noch nicht erlebt. Jemand oder etwas hatte sie in eine Zwickmühle gedrängt, aus der sie so leicht nicht wieder herauskam. Rosy fühlte sich von etwas umgeben, das sie weder sehen noch fassen konnte.
Sie dachte an Sinclair. Sie wollte ihn nicht mehr sehen und allein in ihrem kleinen Reich bleiben.
Allein?
Nein, das war sie nicht mehr. Sie wurde von etwas umgeben und sogar geleitet, denn ohne sich vorher darüber Gedanken gemacht zu haben, drehte sie den Kopf.
Ihr Blick traf den Stuhl!
Es waren höchstens zwei Sekunden, in denen sie das Möbelstück anschaute, aber die reichten aus, um etwas geschehen zu lassen, das sie völlig überraschte.
Auf dem Stuhl und auch dicht darüber fing die Luft an zu flimmern. Rosy dachte zuerst an eine Täuschung und schloss die Augen.
Als sie sie wieder öffnete,
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