1487 - Die Dämonen-Prinzessin
machen.
»Was ist das?«
»Eine Wahrheit.«
»Wieso denn?«
»Märchen und Wirklichkeit.«
»Unmöglich!«
»Dann geh doch hin.«
»Verdammt, es geht nicht um mich. Ich will meinen Sohn da weg haben. Ich glaube nicht, dass so etwas gut für die Kinder ist. Das ist ja schon für mich der reinste Horror. Märchen sind schlimm. Aber es sind eben nur Märchen. Darauf haben sich die Kinder bisher verlassen können. Und das ist jetzt ad absurdum geführt worden.«
Die Mutter hatte länger gesprochen, als sie es eigentlich wollte.
Eine andere Frau, die ganz außen saß und sich bisher noch nicht gemeldet hatte, stellte mit zittriger Stimme eine Frage.
»Wie heißt das Märchen eigentlich? Es muss doch eine Überschrift oder einen Titel haben?«
»Der wurde genannt.«
»Ich habe ihn vergessen.«
Es wäre normal gewesen, hätte eine der anderen Frauen eine spontane Antwort gegeben. In Anbetracht der Geschehnisse war das allerdings nicht der Fall. Man traute sich nicht so recht, bis die Mutter, die bisher sehr forsch gewesen war, diesen einen Titel aussprach.
»Die Dämonen-Prinzessin!« flüsterte sie scharf.
Danach war es still. Niemand verspürte den Wunsch, diese Aussage zu interpretieren. Man blieb still. Vielleicht sogar erstarrt in den eigenen negativen Gedanken. Es gab da diesen Begriff Dämonen, und auch Erwachsene fürchteten sich davor. Dämonen waren immer schlimm, aber sie waren nur Fantasiegebilde. Zumindest für die meisten Menschen. Jetzt aber kamen die Frauen ins Nachdenken.
Auch deshalb, weil sich auf der Bühne die Szenerie verändert hatte.
Es gab plötzlich eine Kulisse. Die jedoch war nicht aufgebaut worden, sie war praktisch aus dem Nichts entstanden, als hätte man sie aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare gezerrt.
Rotbraune Wände, die aussahen wie erstarrte Flammen. Sie wiesen ein unruhiges Muster auf, und wer genauer hinschaute, der sah innerhalb dieser Muster Gesichter oder Gestalten.
Fratzen. Totenschädel mit weit geöffneten Mäulern. Wesen mit Tierköpfen und langen, krakenähnlichen Armen, die nach irgendwelchen Opfern griffen, um sie an sich zu reißen.
Und dazwischen oder davor saß die Märchenerzählerin. Die Geschichte hieß die Dämonen-Prinzessin, und die Frauen machten sich Gedanken darüber, ob die Prinzessin keine Märchenfigur mehr war, sondern aus der Wirklichkeit stammte und das Märchen eben nur vorgespielt hatte.
»Das können wir nicht zulassen«, erklärte die forscheste der Mütter. »Wir dürfen es auf keinen Fall.«
»Was denn?«
»Es ist für unsere Kinder gefährlich. Ich will nicht, dass meinen beiden etwas passiert. Das ist auch kein Märchen mehr. Ich für meinen Teil werde meine Kinder nehmen und gehen. Etwas anderes will ich nicht mehr. Habt ihr das verstanden?«
Das hatten die Mütter wohl. Allein ihnen fehlte der Mumm, um etwas zu unternehmen, denn jetzt war die Stille auf der Bühne vorbei.
Ophelia, die auf ihrem Thron saß, übernahm wieder das Wort.
Diesmal sprach sie mit veränderter Stimme. Sie war düster geworden, und viele Worte mündeten in einem Raunen.
»Hört genau zu, meine Kinder. Ich habe davon gesprochen, dass Märchen wahr werden können. Und nun ist es geschehen. Die Geschichte, die ich euch erzählt habe, entspricht der Wahrheit. Wir befinden uns in einem Märchen. Es ist die Geschichte der Dämonen-Prinzessin, und ihr seid nicht mehr die Zuhörer. Ihr könnt mitspielen, nein, ihr müsst mitspielen. Das ist das Neue daran, das einfach Wunderbare. Wir alle sind ein Märchen, und was sonst nur erzählt wurde, ist nun eingetroffen. Erinnert ihr euch noch an Gerrit?«
»Ja!« rief eine Kinderstimme. »Er hat die Tür geöffnet.«
»Sehr gut, meine Kleine. Er öffnete die Tür und damit zugleich das Tor in die Märchenwelt. Wenn ihr mir nicht glaubt, werdet ihr gleich eines Besseren belehrt.«
Die Spannung war für die Kids fast unerträglich geworden. Auch die Mütter mischten sich nicht ein. Nur die Frau auf ihrem Thron bewegte sich. Sie streckte eine Hand zur Seite aus. Dabei öffnete sich das lange Kleid, das in Wirklichkeit ein Umhang war, ein wenig, und Körperteile einer halb nackten Gestalt wurden freigelegt.
Eine Geste reichte.
Aus dem Rot löste sich eine Gestalt, die bisher noch nicht zu sehen gewesen war. Ein Junge, der mit unsicheren Schritten ging und mit einem Satz empfangen wurde.
»Willkommen im Reich der Dämonen-Prinzessin…«
***
Es war so etwas wie ein Finale, denn das Märchen hätte auch damit
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