1487 - Die Dämonen-Prinzessin
nicht die Schönste im ganzen Land. Du bist wie Schneewittchens Stiefmutter, verstehst du?«
»Hältst du mich für so hässlich?«
»Ja.«
»Dann schau dich an!«
»Ich weiß, wie ich aussehe, und ich weiß auch, was ich zu tun habe. Ich werde die Kinder jetzt auffordern, sich von ihren Plätzen zu erheben und zu gehen. Alles andere kannst du vergessen. Das hier wird deine letzte Märchenstunde sein.«
Judy Peters hatte keine Lust mehr, weiter zu diskutieren. Sie drehte sich mit einer heftigen Bewegung herum, aber sie schaffte nicht mal die Hälfte davon. Unsichtbare Hände waren plötzlich da und krallten seh an ihr fest. Sie wollte sich wehren, aber es gelang ihr nicht mehr, die Arme zu bewegen. Nur den Kopf konnte sie drehen, und den wandte sie der Bühne zu, auf der die dämonische Person ihren Platz eingenommen hatte und von dort aus regierte wie eine Königin.
»Komm zu mir…«
Die Worte waren nur leise gesprochen worden. Sie dröhnten trotzdem in den Ohren der Frau, und sie merkte sofort, dass sie in einen fremden Bann geraten war. Es gab bei ihr keinen Widerstand mehr, und so tat sie, was ihr befohlen worden war.
Plötzlich war alles so leicht. Sie stieg hoch zur Bühne. Der Holzboden war mit einem dunklen Stoff bespannt, doch auch hier überwog das schmutzige Rot. Es lag wie ein brauner Schmier auf dem Boden, während es sich zugleich im Hintergrund hielt und sogar Seitenwände gebildet hatte.
Wo bin ich?
Bei diesem Gedanken schwindelte ihr. Die Antwort war leicht zu geben. Sie stand auf einem Bühnenboden in einer Schule. Es war die normale Welt, und trotzdem fühlte sie sich wie aus dem Leben gerissen und eingetaucht in eine andere Welt, die sie nicht mochte, weil sie ihr einfach zu fremd war. Aber sie lag vor ihr und war zum Greifen nah, wobei es eine Königin gab, die sich Prinzessin nannte und auf ihrem Thron saß. Sie erwartete die Frau, die ihren Vorsatz nicht mehr hatte in die Tat umsetzen können. Jetzt musste sie tun, was die andere Seite verlangte.
»Komm näher…«
»Und dann?«
»Ich will dich haben.«
Was sie damit meinte, zeigte Ophelia wenig später. Sie schob Gerrit zur Seite und schuf damit genau den Platz, den sie brauchte. Sie streckte der Frau beide Hände entgegen und bewegte ihre Finger zuckend auf und nieder, als wollte sie Judy klarmachen, sie so schnell wie möglich anzufassen, was sie dann auch tat.
»Was fühlst du?«
»Nichts.«
Judys Hände lagen in denen der Prinzessin. Sie hatte nicht gelogen. Es gab keine Wärme an dieser Haut, aber es steckte auch keine Kälte in ihr. Es waren wächserne Totenhände, die sie anfassen musste, und ihr wurde allmählich klar, dass diese Person wirklich etwas Besonderes war.
Judy Peters wurde gezwungen, in Ophelias Augen zu schauen. Sie konnte dem Blick nicht ausweichen, er nagelte sie förmlich fest, und allmählich erlebte sie die Wirkung, denn der Blick verwandelte sich in einen regelrechten Bann.
»Wie heißt du?« fragte die Prinzessin flüsternd.
»Judy Peters.« Sie hatte nicht antworten wollen, aber dieser verdammte Blick hatte sie dazu gezwungen.
»Du bist mit einem Kind hier?«
»Ich habe zwei Kinder.«
»Wie heißen sie?«
»Karen und Kevin.«
»Sitzen sie hier?«
»Ja.«
»Wie alt sind sie?«
»Kevin ist elf Jahre alt, Karen neun.«
»Das ist wunderbar. Es ist genau das Alter, in dem ich mir die Kinder gewünscht habe. Karen, Kevin, Gerrit und all die anderen. Ich fühle mich plötzlich sehr wohl, und weiß du auch, weshalb?«
»Nein.«
»Weil ich die große Sammlerin bin und mir ein Kind nicht genug ist. Ich will, dass die Kinder die Märchen nicht nur hören, sie sollen sie sogar erleben.«
Normalerweise hätte die Frau heftig widersprochen. In diesem Fall tat sie das nicht. Sie war nicht mehr in der Lage dazu. Sie fühlte sich aus ihrem Leben herausgerissen und hinein in ein anderes gezerrt. Sie stand einfach nur neben sich und war doch bereits zu einem Teil dieser anderen Märchenwelt geworden.
»Märchen erleben lassen. Abtauchen, verschwinden in einer Welt für sich. Dafür bin ich da, und ich werde so handeln, wie es der Rattenfänger getan hat. Ich bin sicher, dass die Kinder mir folgen werden, und deine beiden machen den Anfang.«
Es ging gegen die Kinder. Es ging auch gegen ihre Kinder!
Judy begriff es, aber eine Reaktion zeigte sie nicht. Sie kam sich vor wie jemand, der in einem Schlammloch steckte und nicht mehr herausgezogen werden konnte. Alles war anders geworden, sie setzte zu
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