1487 - Die Dämonen-Prinzessin
niemand da, der Judy Peters zurückhielt. Zwar riefen ihre beiden Kinder ihren Namen, doch auch davon ließ sie sich nicht aufhalten. Erst als sie die Stuhlreihen passiert hatte, ging sie langsamer, behielt den Blick jedoch weiterhin auf die Bühne gerichtet.
Und plötzlich war etwas in ihr, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken trieb. Ihre Forschheit verschwand. Judy Peters merkte, dass etwas auf sie zukam, in dessen Nähe sie sich unwohl fühlte. Beschreiben konnte sie den Zustand nicht. Es war möglicherweise eine innere Stimme, die ihr eine Warnung schickte.
Deshalb blieb sie stehen.
Der Bühnenrand vor ihr war nicht sehr hoch. Sie brauchte nur einmal das Bein zu heben und wäre oben gewesen. Aber das tat sie nicht. Ihre Forschheit war plötzlich wie weggeblasen. Sie stand vor der Bühne, schaute nach vorn und sah die Dämonen-Prinzessin, die noch immer den Jungen festhielt.
Judy Peters musste zunächst alles in sich aufnehmen. Es war nicht leicht für sie, denn sie merkte etwas von der anderen Kraft, die im Hintergrund lauerte.
Schweiß stand plötzlich auf ihrer Stirn. Es war so warm geworden, und sie überkam der Eindruck, dass sich die Szene, die sie vor sich sah, immer mehr ausweitete. Sie nahm einen ganz anderen Raum ein. Sie war breiter und auch tiefer, und sie glaubte nicht, dass menschliche Maße ausreichten, um sie zu erfassen.
Etwas war hier anders. Sie stand hier noch in der Wirklichkeit, aber vor ihr hatte sie sich verwandelt.
Auch ihre Stimme versagte. Sie fühlte sich als Verliererin. Dabei musste sie nur einen Schritt vorgehen, um das Andere zu erreichen.
Aber was war das?
Innerhalb der wenigen Sekunden, in denen sie sich vor dieser kleinen Bühne aufhielt, hatte sich vieles verändert. Ihr schwirrten Begriffe durch den Kopf wie Märchen und Mythen, Jenseitswelten und Metaphysik. Angstträume und Wahnsinn, und je mehr sie nachdachte, umso schwerer ging ihr Atem. Sie musste zugeben, dass sie in den Bann dieser anderen und unheimlichen Welt geraten war, aber eine Chance, ihr zu entkommen, sah sie nicht. Sie gab sich selbst den Befehl, zurückzugehen. Ausführen konnte sie ihn nicht.
Es war einfach zu schwer, und so stand sie weiterhin auf der Stelle, ohne etwas zu sagen.
Die Dämonen-Prinzessin schaute über den Kopf des Jungen hinweg. Die dunklen Augen sahen nicht mehr so dunkel aus. Es hatte den Anschein, als läge ein verschwommener Goldschimmer darin.
Und sie sah auch das Lächeln, das die Lippen auseinander zerrte.
Für Judy war es das Lächeln einer Dämonin, denn so hatte sich die Prinzessin selbst bezeichnet.
»Was wolltest du?«
Judy hatte die Frage zwar erwartet, allein ihr fehlte der Mut zu einer Antwort.
»Wolltest du mich herausfordern?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Mir ging es um die Kinder, nur um die Kinder, verdammt noch mal.«
»Mir auch. Sie sind zu mir gekommen. Ihr habt sie sogar gebracht. Dafür muss ich euch dankbar sein. Aber ich hasse es, wenn man mich stören will. Und ich sehe dich als Störenfried an, verstehst du?«
»Was soll das?« Die Frau riss sich zusammen. Sie hatte sich auf die neue Lage einstellen können. »Wir sind gekommen, um zusammen mit den Kindern ein Märchen zu hören. Das ist alles. Eine Gruselshow wollten wir beileibe nicht.«
Ophelia schüttelte den Kopf. »Bei mir hört man keine Märchen, sondern erlebt sie. Das ist der große Unterschied. Man erlebt diese Geschichten, und du weißt selbst, dass es nicht nur gute Märchen gibt. Ich für meinen Teil liebe die bösen, und ich lasse sie meine Zuhörer auch erleben, das kann ich versprechen.«
»Nein, so haben wir nicht gewettet. Ich haben beschlossen, dass die Märchenstunde vorbei ist. Die Kinder werden mit ihren Müttern jetzt nach Hause gehen. Daran gibt es nichts zu rütteln. Ist dir das bewusst geworden, Ophelia?«
»Ich habe es gehört.«
»Dann richte dich danach.«
»Nein, du hast noch immer nicht begriffen. Nicht du und die anderen Mütter haben hier das Sagen, sondern ich. Denn ich bestimme, was passiert. Ich habe das Märchen oder die Märchen lebendig werden lassen, und ich schwöre dir, dass ich keinen einzigen Schritt zurückweichen werde.«
»Und was hast du vor?«
»Ich werde meine Märchenwelt für die Kinder öffnen. Nicht mehr und nicht weniger. Mit Gerrit habe ich begonnen. Ich bin seine Märchenfee gewesen. Ich habe mich ihm im Traum gezeigt. Ich bin schön, ich bin wie das Schneewittchen.«
»Du willst wie das Schneewittchen sein? Nein, du bist
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