1488 - Schamanen-Zauber
Amado, aber ich sah noch mehr. Eine Schlange in diesem Raum, und sie hatte den Mann in die Enge getrieben, der mit seinen Nerven fast am Ende war…
***
Die beiden Männer rechts und links der Tür lächelten und nickten Suko zu, als sie ihn sahen. Bei anderen Besuchern hätten sie nicht so reagiert, aber der Inspektor war bekannt und auch angemeldet worden, deshalb ließen sie ihn passieren.
»Du musst den Flur ganz durchgehen.«
»Danke.«
Die Tür wurde ihm aufgehalten, und Suko betrat einen Gang, in dem es nicht finster und auch nicht hell war. Indirektes Licht sorgte dafür, dass der Besucher nicht stolperte. An den Wänden hingen Bilder, die mehr Postern ähnelten. Sie waren dicht mit chinesischen Zeichen beschrieben, und Suko wusste, dass es sich bei diesem Text um alte Rezepte handelte, die seit Generationen überliefert worden waren.
Der Mann, den er besuchen wollte, hieß einfach nur Chang. Er residierte in einem der zahlreichen Anbauten, die es in den Hinterhöfen gab und wo Touristen nicht hinkamen, die nur die Fronten der Fassaden sahen, doch sie machten den Reiz des China-Viertels aus.
Suko hatte nicht grundlos mit Chang Kontakt aufgenommen. Er galt als Heiler mit besonderen Kräften. Zudem kannte er sich in der Kräuterkunde und alten Heilmethoden aus. Er war ein Altmeister der Akupunktur, und wenn jemand Bescheid wusste, dann war es der weise Chang.
Suko wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Er klopfte leise gegen die Tür und wartete die Aufforderung zum Eintreten ab, bevor er öffnete. Erst dann betrat er Changs Reich.
Im Zimmer, in dem Chang saß, roch es nach Gewürzen oder nach Ölen, aber der Geruch war frisch und angenehm.
Der weise Chang bildete den Mittelpunkt.
Suko hatte keinen Blick für die mit allerlei kleinen Flaschen und Tiegeln gefüllten Regale, er schaute auch nicht auf die beiden Liegen und die Nadeln hinter der Scheibe eines Glasschranks. Für ihn war einzig und allein Chang wichtig.
Er saß in einem gut ausgepolsterten Stuhl mit hoher Lehne, der mit einer dunklen Lackfarbe gestrichen war. Der Stuhl war etwas zu breit für den schmächtigen Mann, der eine weit geschnittene Jacke aus dunklem Samt trug, die auf der Oberfläche gelbe Stickereien zeigte, die aussahen wie Schriftzeichen.
»Schließ bitte die Tür. Ich denke, wir sollten unter uns bleiben, mein Freund.«
»Danke.«
Suko benahm sich weiterhin sehr respektvoll, denn das hatte Chang verdient und das war er auch so gewohnt. Er streckte Suko seine Hände entgegen, deren Haut so dünn war. Die dicken, bläulichen Adern traten hervor, und zwischen ihnen waren die braunen Altersflecken sehr deutlich zu sehen.
Er klemmte Sukos Hand zwischen seinen Händen ein, und der Inspektor spürte sehr wohl den harten Druck. Diese Kraft brachten nur wenige Menschen auf, die weit über achtzig waren.
»Sei mir gegrüßt, edler Chang. Es ist, als würde ich wieder mal nach Hause kommen.«
»Ja, Suko, du hast dich sehr lange nicht mehr bei mir blicken lassen. Ich bin froh, dass es dir gut geht und du nicht krank bist, und ich verzeihe dir auch, dass du so lange weggeblieben bist, weil ich weiß, wie schwer du es im Leben hast. Die Dämonen und ihre Helfer lassen sich eben nicht so leicht ausrotten.«
»Das stimmt.«
»Aber du gibst nicht auf.«
»Das kann ich nicht.«
»Sehr gut, Suko, sehr gut.« Er ließ die Hand los, und Suko schaute nicht mehr nach unten, sondern in das Gesicht des alten Chinesen, das eine Fläche aus Falten war, wobei die hellen Augen allerdings die Kraft der Jugend in sich bargen. »Und jetzt bist du zu mir gekommen, damit ich dir einen Rat und auch Hilfe geben kann.«
»So ist es, weiser Chang.«
»Bitte, dann höre ich.«
»Es hat Tote gegeben. Drei Männer, deren Köpfe regelrecht weggeblasen wurden und…«
»Ich hörte davon. Aber ist es eine Sache, die dich interessieren muss, mein Freund?«
»Ja. Die Spur führt zu einem Heiler. Einem Mann, der dir vielleicht nicht unbekannt ist. Sagt dir der Name Igana etwas?«
Chang reagierte nicht. Zumindest nicht so, wie Suko es sich vorgestellt hatte. Stattdessen fragte er: »Möchtest du eine Tasse Tee trinken, mein Freund?«
»Gern.«
»Du kannst sie dir holen.«
Der Kessel stand auf einer Warmhalteplatte. Daneben sah Suko die Tassen, die aus hauchdünnem Porzellan bestanden. Er hob die Kanne an und goss Tee in das zarte Gefäß.
Es wäre unhöflich gewesen, das Getränk abzulehnen, und mit der Tasse in der Hand ging Suko wieder zu Chang
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