1492 - Das dunkle Netz
vom Electric Bazaar.
Statt ihrer stellte sich Chinnvi herausfordernd in die Mitte der Höhle: „Irgendwer, der an mir zweifelt?" fragte die Neunjährige. Sie hob Bliss' Gürtel auf und legte ihn zusätzlich um ihre Hüften. Gleichzeitig zog sie ihre Bola, ließ die Klingen aber zu Boden hängen. „Niemand?" Ein weiterer Blick in die Runde. „Dann bin ab sofort ich die Anführerin."
Die fünf anderen Kidbots sahen sie schweigend an. In den Blicken der älteren Kinder erkannte Rhodan Neid, vielleicht sogar Haß. „Was geschieht jetzt?" fragte er. „Na, was wohl", gab Chinnvi wachsam zurück. „Unser Versteck ist leer. Wir haben nichts zu essen und nichts zu trinken. Besser, wir ändern das."
„Ich habe etwas anderes gemeint."
Chinnvi dachte nach. „Ah, Bliss? Ich hab' doch gesagt, die geht jetzt auf Simusense."
„Und wie sieht das aus?"
„Ganz einfach. Sie sucht sich einen guterhaltenen Turm. Dann reißt sie einem der Träumer die künstliche Ernährung raus. Und schafft den Körper weg, logisch. Wegen der Robotfürsorge. Die Robs sollen nicht ins Grübeln kommen..."
„Und schafft den Körper weg?" wiederholte er entsetzt. „Was wird mit dem Körper?"
Chinnvi zuckte mit den Achseln. „Stirbt im Traum."
„Und Bliss nimmt den fremden Platz ein?"
„Genau. Schnell die Nahrungsschläuche in den Arm und hinsetzen. Sie holt den Chip raus und klebt ihn sich an. Das Zeug verschmilzt mit der Haut, dann mißt sich der Chip auf deine IV-Schwingungen ein.
Schon geht der Traum los. Du bist auf Simusense."
„Oh, verdammt", sagte er erschüttert. „Ich hätte nicht geglaubt, daß es so brutal ist." Dabei hätte er die Wahrheit ahnen müssen; zumindest das. Und vielleicht war es so auch gewesen. Aber ebensosehr hatte er geahnt, daß er nichts daran ändern konnte.
*
Gemeinsam mit Chinnvi machte er sich auf den Weg zu dem Gebäude, das sie bereits gestern ausgeschlachtet hatten. Die anderen waren derweil auf Nahrungssuche. Zunächst galt es, Vorräte für die Bande anzulegen. Ware für den nächsten Basar kam anschließend an die Reihe. „Ich habe eine Bitte", sagte er, als sie schwerbeladen den Rückweg antraten. „Sag schon."
„Ich möchte mit Traumhelfern in Kontakt treten."
„Und?"
„Ihr seid Kinder von Traumhelfern. Ihr wißt, wo ich sie finden kann."
„Wäre möglich", antwortete Chinnvi ausweichend. Die Zuneigung in ihrem Blick war nicht mehr dieselbe wie vor Bliss' Abgang - vielleicht spürte die Kleine, schmerzlich, daß nun sie die Verantwortung trug.
Vielleicht deswegen der Rückzug vor ihm.
Die Nacht verging ereignislos. Am nächsten Tag teilte Chinnvi ihm eine andere Begleitung zu. Sie selbst verschwand mit unbekanntem Ziel den ganzen Tag lang. Wasser und Konzentratriegel standen rasch wieder zur Verfügung. Allmählich sammelte sich ein schmaler Haufen Überschuß an.
Rhodan und die anderen legten sich früh schlafen.
Aber mitten in der Nacht weckte ihn ein Geräusch.
Schnarrend rutschte der Verschlag beiseite. Ein Spalt Licht fiel auf die Wand gegenüber. Rhodan lag im Schatten stocksteif, nur seine rechte Hand bewegte sich, kroch unmerklich in Richtung Waffe.
Die Zeit reichte, er hatte den Strahler in der Hand. „Alara?" Das war Chinnvis Stimme. „Bist du's?"
Licht flammte auf. Die ganze Höhle war plötzlich taghell. Rhodan riß geblendet den Strahler hoch und legte auf die Gestalt an. Allmählich erst schälten sich weibliche Umrisse aus dem Wirrwarr auf seiner Netzhaut.
Die Körpergröße lag bei etwa einsachtzig, mit knochigem Körperbau. Sie war gut vierzig Jahre alt. „Laß das, Rhodan. Das ist Alara. Sie ist dein Kontakt."
„Richtig." Das war die Unbekannte. Eine Stimme unter Hochspannung. „Waffe weg."
Rhodan blinzelte - er warf rasch der verschlafenen Chinnvi einen Blick zu und legte den Strahler beiseite. „Das ist gut." Die Unbekannte namens Alara setzte sich ins Licht. Ihr Gesicht war ein flaches Brett, weiche Haut, dünne Lippen und kleine Nase. Ihre Augen registrierten jedes Detail. Alaras Haare waren mit Draht im Nakken zusammengebunden, die Stirn blieb frei. Eine Narbe kerbte sich tief in ihren rechten Mundwinkel. „Du bist Rhodan?"
„Das ist richtig. Und du bist eine Traumhelferin?"
„Ebenfalls korrekt." Am linken Arm trug sie wie Gerrin und seine Helferinnen eine Manschette, einen Multitasker. „Überzeuge .mich, daß du kein Traumjäger bist. Fünf Minuten Zeit."- Er sah die Entschlossenheit in ihren Zügen. Aber auf der anderen
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