1496 - Keltenzauber
sie auch nicht enttäuschen, da bin ich ehrlich.«
»Das glaube ich. Aber haben Sie denn keine Angst, sich derartigen Dingen zu stellen?«
»Warum sollte ich?«
»Weil so etwas nicht ins normale Leben passt. Das ist meine Meinung.«
Johnny winkte ab. »Es gibt so viele Dinge, die nicht passen. Jedenfalls habe ich mich sehr darüber gefreut, dass wir miteinander sprechen konnten, Mr. McLean.«
»Das Kompliment gebe ich zurück. Ich hätte nur nie gedacht, mit derartigen Vorgängen konfrontiert zu werden. Das bringt mein Weltbild völlig durcheinander.«
»Man muss die Dinge nehmen, wie sie sind.« Johnny schob seinen Stuhl zurück und erhob sich. Er war froh, sich wieder bewegen zu können. Er zog seine dicke Wolljacke an und schlang den Schal lässig über die Schultern.
»Ich gehe noch mit nach draußen«, sagte der Pfarrer.
»Danke.«
Johnny öffnete die Tür und schaute über den winterlichen Rasen hinweg. Durch den Sturm war nur ein Baum gefallen, die anderen standen noch, und ihre Zweige zitterten im Wind.
Den Werkstattschuppen mit dem offenen Eingang sah er auch, und genau aus dieser Richtung hörte er plötzlich ein Geräusch.
Es war das schrille Singen der Kreissäge!
***
Johnny ging keinen Schritt weiter. Er drehte nur seinen Kopf noch mehr herum, und so konnte er das sich schnell drehende, flirrende Sägeblatt sehen, das hin und wieder Reflexe warf.
Der Pfarrer war hinter ihm stehen geblieben. »Das verstehe ich nicht«, flüsterte er, »ich hatte doch abgestellt.«
»Jetzt nicht mehr.«
»Dann muss es von jemand angestellt worden sein, verflixt noch mal.«
»Das glaube ich auch.«
»Und wer?«
Johnny hob die Schultern. Er sah den Pfarrer an, der an seiner linken Seite stand und eine Gänsehaut bekommen hatte. Sein Blick war zudem unstet geworden. Er wirkte wie ein Mensch, der wusste, dass er umzingelt war, aber keine Feinde sah.
»Ob Sie das gewesen ist?« fragte der Pfarrer, ohne den Namen Myrna auszusprechen.
»Das ist durchaus möglich. Sie will mir zeigen, dass sie hier ist.«
Johnny lächelte und sagte dann: »Ich denke, dass ich mal in Ihre Werkstatt gehen sollte.«
»Sind Sie lebensmüde?«
»Nein, ich möchte nur Klarheit haben. Vielleicht sollte mich das Geräusch locken, und das hat es getan. Sie können ruhig hier warten oder ins Haus gehen.«
»Das werde ich nicht tun.«
Johnny hatte genug gesagt. Er machte sich auf den kurzen Weg zum offenen Werkstattschuppen.
Ein wenig komisch war ihm schon zumute. Er spürte das Kribbeln nicht nur im Nacken, sondern auch auf dem Rücken und er hatte das Gefühl, als wären seine Füße mit Blei beschwert worden.
Der Mund war ihm trocken geworden. Je mehr er sich der drehenden Säge näherte, umso bitterer wurde der Geschmack in seinem Mund. Johnny fühlte sich in diesen Augenblicken allein gelassen. Er spürte auch eine unbestimmte Angst und fragte sich, ob er nicht einen Schritt zu weit ging.
Das Singen der Säge wurde zu einer regelrechten Todesmelodie.
Die Scheibe war zu einem blitzenden Kreis geworden, sie lief mit einer rasenden Geschwindigkeit, und er stellte sich plötzlich vor, dass sich das Blatt lösen und sich selbstständig machen würde.
Das wäre sein Tod gewesen…
Um in die Werkstatt zu gelangen, musste er dicht an der Säge vorbei. Er fragte sich auch, ob er tatsächlich hineingehen sollte. Hier draußen war er sicherer. Aber seine Bedenken waren vergessen, als er die Erscheinung an der Rückwand der Werkstatt entdeckte. Sie hatte so gar nichts Geisterhaftes an sich, sie stand dort wie ein normaler Mensch und war tatsächlich Myrna, die auf ihn wartete und immer noch die gleiche Kleidung trug.
Johnny blieb stehen.
Das Geräusch der Säge peinigte seine Ohren, aber er wusste nicht, wie er das Werkzeug abstellen sollte.
Myrna hob die Hand. Sie lächelte ihm zu. »Du bist gekommen! Das finde ich wunderbar. Ja, ich habe auf dich gewartet, und jetzt werden wir gemeinsam gehen.«
Johnny sagte nichts, aber Myrna hatte ziemlich laut gesprochen, sodass er jedes Wort hatte verstehen können.
»Willst du nicht zu mir kommen?« fragte er.
»Hast du Angst?«
»Ich weiß nicht.« Johnny deutete nach vorn. »Da ist die Säge, die mir nicht gefällt. Wer hat sie angestellt?«
»Ich.«
»Und warum?«
»Es ging wie von allein. Manchmal spüre ich etwas in mir, das ich nicht erklären kann.«
»Willst du es mir sagen?«
»Nein.«
»Was soll ich dann bei dir?«
»Ich brauche dich.«
»Und wobei?«
»Das wirst du
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