1498 - Horrortrip des Sensenmannes
bleich wie eine Tote ausgesehen, sie aber behielt die Fassung.
Der Whisky befand sich in einer Karaffe. Zusammen mit zwei Gläsern stellte Mabel Cramer sie auf ein Tablett und brachte es zu dem viereckigen Glastisch zwischen ihnen.
»Schenken Sie sich selbst ein, Phil. Sie wissen bestimmt am besten, wie viel Sie brauchen.«
»Danke.« Der Lehrer nahm mehr als einen Doppelten, und die Rektorin stand ihm in nichts nach.
Sie hob ihr Glas an und sagte: »Trinken wir darauf, dass ich meinen Kopf noch behalten habe.«
»Und noch lange behalten werden!« vollendete er.
»Genau.«
Beide genossen den Schluck. Als sie ihre Gläser abstellten, blieb es zwischen ihnen still. Jeder schien darauf zu warten, dass der andere anfing zu reden, aber das war nicht der Fall.
Bis die Rektorin ihre Augen leicht verengte und Phil genau fixierte. »Jetzt würde ich gern von Ihnen wissen, was Sie um diese Zeit noch an den See getrieben hat.«
Bennett hatte die Frage erwartet und versucht, sich eine Ausrede zurechtzulegen. Da ihm das bisher nicht gelungen war, konnte er nur bei der Wahrheit bleiben.
»Ich bin zum See gegangen, weil ich dort etwas entdeckt habe.«
»Und was war das? Mein Kopf?«
Der Lehrer senkte den Kopf. »Nein, den fand ich erst später.«
»Was sahen Sie dann?«
»Eine Legende, die lebt.«
»Bitte? Welche Legende?«
Bennett hob den Kopf an. Verdammt!, fluchte er innerlich. Ich stecke in der Scheiße, aber ich muss da durch.
Er konnte die Wahrheit nicht verschweigen, und deshalb konkretisierte er seine Antwort.
»Die vom Sensenmann.«
Mabel Cramer sagte zunächst nichts. Sie rollte nur mit den Augen, und Phil erwartete, dass sie ihn auslachen würde. Doch das tat sie nicht, sondern stellte stattdessen eine Frage.
»Können Sie das nicht genauer erzählen?«
»Ja, kann ich.« Phil trank einen weiteren Schluck von seinem Whisky. »Aber werden Sie mir glauben?«
»Das sollten Sie mir überlassen. Für mich ist wichtig, die ganze Wahrheit zu erfahren.«
»Gut, dann fange ich mal an.«
»Ich bitte darum.«
Mabel Cramer hörte in den nächsten Minuten schweigend zu, was ihr Phil Bennett zu berichten hatte. Es hörte sich unglaublich an, und der Lehrer erwartete eigentlich, dass sie ihn unterbrechen würde, doch davon nahm die Rektorin Abstand. Sie nuckelte nur ab und zu an ihrem Whisky und nickte, als Phil seinen Bericht beendet hatte und sich mit einem Taschentuch die schweißnasse Stirn abwischte.
»Jetzt wissen Sie alles.«
»Ja, nun weiß ich es.«
»Jetzt können Sie mich auslachen oder mich für einen überspannten Idioten halten.«
»Nein, warum sollte ich?«
»Weil es so etwas nicht geben kann, was ich da gesehen habe. Das ist eine Legende, und eine Legende ist niemals wahr, verflucht noch mal.«
»Kann sein«, erwiderte die Rektorin ruhig. »Und daran, dass es die Wahrheit sein könnte, denken Sie nicht?«
»Ähm – wie meinen Sie das?«
»Dass dieser Sensenmann existiert und verdammt echt ist.«
Der Mann hatte trinken wollen. Das tat er jetzt nicht. Dicht vor seinen Lippen hatte er seine Hand angehalten und schaute die Rektorin überrascht an.
»Was ist, Phil?«
Er schluckte. Es fiel ihm schwer, ein Wort zu sagen, geschweige denn einen ganzen Satz. »Es ist nur so seltsam, dass Sie mir glauben, Mabel. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe gedacht, dass Sie mich für einen überdrehten Idioten halten. Sorry, so musste ich einfach denken.«
»Manchmal irrt der Mensch.«
»Und was bringt Sie auf den Gedanken, dass diese Legende der Wahrheit entsprechen könnte?«
»Vielleicht habe ich den Reiter auch gesehen.«
»Ach…«
Die Rektorin senkte den Kopf und wischte dann über ihre Stirn.
»Ich gehe mal davon aus«, sagte sie mit leiser Stimme, »dass wir beide das Gleiche gesehen haben. Ich zwar nicht so deutlich wie Sie, aber immerhin fiel mir die fremde Gestalt auf dem Pferd am Seeufer auf.«
»Wann war das?«
»Sagen wir, vor gut einer Stunde.«
»Dann muss der Sensenmann schon länger draußen herumgeritten sein. Haben Sie auch das Schleifen der Sense auf dem Kies gehört?«
»Selbst das.«
»Also gibt es ihn. Dieser verdammte Spuk existiert. Er ist da, er hat seine andere Welt verlassen, um in unsere zu gelangen. Das ist Horror, Mabel, der reine Horror.« Er schüttelte sich.
»Ich weiß.«
Phil Bennett brauchte einen Schluck und trank sein Glas bis auf den letzten Tropfen leer.
»Wir müssen etwas tun, Phil.«
»Ha. Und was?«
»Wir haben Glück, dass Ferien sind.
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