1499 - Rattenwelt
die gegen meine Wangen klatschten.
Ich ließ nicht locker. »Er ist doch hier – oder?«
»Siehst du ihn?«
»Ich will ihn sehen!« flüsterte ich scharf. »Und zwar so schnell wie möglich. Und glaub mir, ich bin bisher noch nett gewesen, aber das kann sich schnell ändern. Da muss ich nur an die beiden armen Schweine denken, die deine Ratten bis auf das Skelett abgenagt haben. Für mich ist die Zeit der Rücksichtnahme endgültig vorbei.«
Ich musste sehr überzeugend geklungen haben. Vielleicht war es auch mein harter Blick, der sie zum Umdenken zwang, jedenfalls deutete sie im Liegen so etwas wie ein Nicken an und sagte mit leiser Stimme: »Ich gehe mit!«
Meine Überraschung war so groß, dass ich zunächst nichts darauf antworten konnte.
»Hast du mich gehört? Wir gehen gemeinsam!«
»Ja, das habe ich verstanden.«
»Und?«
»Okay.« Ich hatte das Wort kaum ausgesprochen, als ich mich aufrichtete und sie freigab. Ich hoffte darauf, dass sie mir keinen Bären aufgebunden hatte.
Auch Clara erhob sich. Meine ausgestreckte Hand wehrte sie ab.
Sekunden später standen wir nebeneinander und schauten uns an.
»Wohin?« fragte ich.
Sie deutete in eine bestimmte Richtung.
»Dann los.«
Auch die Ratten in der Umgebung bemerkten, dass sich etwas tat.
Sie hatten sich bisher still verhalten und uns nur beobachtet. Jetzt änderte sich dies.
Sie rotteten sich zusammen, um einen Pulk zu bilden. Eine graue Masse wirbelte durch den Schnee, wartete aber noch ab.
»Wo ist das Ziel?« fragte ich.
»Da vorn.«
»Was heißt das?«
»Bei den alten Steinen.«
Das konnte stimmen. Ich erinnerte mich daran, dass von den alten Steinen gesprochen worden war.
Ohne das Schneegestöber hätte ich sie vielleicht gesehen, so aber musste ich mich auf die Führung und die Ortskenntnisse der Frau verlassen…
***
Es war schon eine ungewöhnliche Prozession, die sich da in eine bestimmte Richtung bewegte. Clara Seymour hatte die Führung übernommen. Ich ging leicht versetzt neben ihr her, und umrahmt wurden wir von einem Pulk von Ratten, die sich nicht abschütteln ließen. Sie wollten uns begleiten, und das bis zum bitteren Ende.
Sollten sie. Mir jagten sie keine Angst ein. Sie hielten einen genügenden Abstand. Keines der Tiere traf Anstalten, mich anzuspringen.
Cara Seymour hatte sich von der anderen Seite einfangen lassen.
Sie war so etwas wie eine Vorbotin des Unheils. Sie hatte für den Rattenking den Weg freigemacht, und nach wie vor ging ich davon aus, dass es sich bei diesem um eine Kreatur der Finsternis handelte.
Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen.
Der Weg ging weiter bergauf. Allerdings war er nicht besonders steil. Wir kämpften uns durch den frisch gefallenen Schnee. An bestimmten Stellen hatte er sich besonders hoch angesammelt, sodass wir manchmal bis zu den Waden darin versanken.
Die Ratten gingen den Weg mit. Sie zogen eine lange dunkle Spur hinter uns her und hinterließen im Schnee so etwas wie einen schmalen Graben.
Clara Seymour sprach kein Wort. Ich hörte nur ihren keuchenden Atem.
Allmählich legte die Dämmerung ihr graues Tuch über die Schneedecke und ließ das Weiß schmutziger erscheinen. Aus den Wolken rieselte nichts mehr. Letzte Flocken waren gefallen, und über der Schneedecke breitete sich eine ungewöhnliche Stille aus. Jedes Geräusch wurde gefiltert oder sogar geschluckt.
Und ich sah das Ziel. Und das trotz des wenigen noch vorhandenen Tageslichts, aber die Schneedecke gab ebenfalls eine gewisse Helligkeit ab, und so waren die Steine schon aus der Entfernung zu sehen.
Es waren mächtige Gebilde, die sich zu einer dunklen Wand zusammengefügt hatten, die sehr kompakt aussah.
Ich legte meine Hand auf Claras Schulter.
»Steckt dein King dort in den Steinen?«
»Nein, zwischen ihnen.«
»Es gibt dort also eine Höhle?«
»Das ist richtig.«
»Und wo?«
Sie setzte sich wieder in Bewegung und erwiderte: »Wir gehen darauf zu.«
Im Moment war sie noch der Chef. Das würde sich bald ändern, denn ich war fest entschlossen, ihren Rattenkönig zu vernichten.
Das musste ich einfach tun, um die Menschen in Woodside zu schützen.
Der Boden unter dem Schnee hatte sich verändert. Er bestand jetzt aus Gestein, und da hatte sich der Schnee nicht so hoch halten können. Er war durch die Windstöße immer wieder weggeweht worden.
Wir waren näher herangekommen. Ich stellte fest, dass mich Clara Seymour nicht angelogen hatte, denn es gab die Unterbrechungen und
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