15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
es, daß man sich gar nicht nach uns umsieht. Sollten sie es sich etwa einfallen lassen, uns für Vagabunden zu halten?“
„Sind wir etwas anderes?“
„Gar wohl sind wir etwas anderes. Wir sind die Helden der Berge und Wälder, welche die Aufgabe haben, das an ihnen begangene Unrecht zu rächen.“
„Gewöhnliche Leute aber sagen Räuber anstatt Helden, was mir jedoch höchst gleichgültig ist. Vielleicht ist nur deshalb niemand in der Stube, weil diese guten Leute draußen an den Wänden stehen, um uns durch die Ritzen derselben anzustarren. Das sollte ihnen aber schlecht bekommen. Schauen wir einmal nach!“
Sie traten heraus und schritten an den Weiden-Scheidewänden hin. Als sie an die Wand kamen, hinter welcher ich hockte, meinte der eine:
„Hier hinter diesen Bündeln kann leicht jemand sein. Wollen einmal nachfühlen. Mein Messer ist spitz genug.“
Die Art und Weise, in welcher diese Menschen hier auftraten, zeigte deutlich, von welch rohem Schlag sie waren. Und ebenso, wie sie, sind weitaus die meisten jener Leute, welche sich einen Nimbus damit geben, daß sie, wie der landläufige Ausdruck lautet, ‚hinaus in die Wälder gehen‘. Es mag wohl einige wenige geben, welche, von der Ungerechtigkeit, von dem Haß und der Verfolgung gezwungen, sich in die Berge flüchten, aber ihre Anzahl ist verschwindend klein gegen die Menge derjenigen, die nur aus roher Brutalität die heiligen Bande zerreißen, welche das Gesetz, das göttliche und das menschliche, geheiligt hat.
Der Urian zog sein Messer und stach zwischen den einzelnen Bündeln hindurch, doch glücklicherweise zu hoch. Wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, mich zu setzen, hätte er mich sicherlich getroffen.
Freilich, ob es mir auch wirklich eingefallen wäre, als Zielscheibe dieses Messerhelden ruhig stehen zu bleiben, das war eine andere Frage. Jedenfalls hätte ich den Stoß nicht abgewartet; aber – mochte ich mich nun gegen die Männer verhalten, wie ich wollte – eine Schande wäre es doch für mich auf alle Fälle gewesen, mich von ihnen aufstöbern zu lassen. Es gibt eben Dinge, welche man, unbeschadet seiner Ehre und seines Selbstgefühls, ganz wohl tun kann, aber – wissen lassen darf man es nicht. Zu diesen Dingen gehört jedenfalls auch das Lauschen.
Horchen ist eine Schande, sagt man allgemein; aber es gibt Lagen, in denen es geradezu eine Pflicht sein kann. Wem sich die gute Gelegenheit bietet, Verbrecher zu belauschen und dadurch eine böse Tat zu verhüten, der macht sich, wenn er aus falschem Scham- und Ehrgefühl diese Gelegenheit unbenutzt vorübergehen läßt, zum Mitschuldigen dieser Tat. Und bei mir trat noch die Pflicht der Selbsterhaltung dazu.
„Es ist niemand da“, meinte der Mann befriedigt. „Wollte es auch keinem geraten haben! Komm' herein!“
Sie begaben sich in die Stube zurück und riefen nun laut nach Bedienung. Der Wirt kam herein, begrüßte sie und entschuldigte sich in höflichen Worten, daß er nicht sogleich habe erscheinen können.
„Ich bereitete mich eben zur Reise vor“, erklärte er ihnen. „Da mußtet ihr leider warten.“
„Wohin willst du?“ fragte derjenige, welcher die Schleuder trug.
„Nach Tekirlik.“
Er war also so klug, grad die entgegengesetzte Richtung anzugeben. Dennoch erkundigte sich der Kerl:
„Was willst du dort? Willst du in Geschäften hin?“
„Nein, sondern zu meinem Privatvergnügen. Was befehlt ihr, daß ich euch bringen soll?“
„Raki. Bringe aber genug! Wir haben Durst und werden gern bezahlen.“
Wenn diese Menschen den Branntwein gegen den Durst tranken, so hätte ich ihre Gurgeln sehen mögen.
„Bezahlen?“ erwiderte der Wirt lächelnd. „Ihr seid heut' meine ersten Gäste, und ich habe die alte Gewohnheit, denjenigen, welche bei mir an dem heutigen Tag die ersten sind, das, was sie verzehren, umsonst zu geben.“
„So? Was für ein Tag ist denn heute?“
„Mein Geburtstag.“
„Dann gratulieren wir dir und wünschen dir ein Leben von tausend Jahren. Also, was wir essen und trinken, brauchen wir nicht zu bezahlen?“
„Nein.“
„So bringe nur gleich einen Krug voll Raki. Du sollst mit uns trinken.“
„Das kann ich nicht, da ich sofort aufbrechen werde. Ich will den heutigen Tag mit meinen Verwandten verbringen, welche in Tekirlik wohnen. Aber Bescheid werde ich euch tun.“
Er entfernte sich, um den Schnaps herbeizuholen.
„Du“, meinte derjenige mit dem Heiduckenbeil, „das haben wir gut getroffen.
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