15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
ein Zeichen des Widerstrebens zu geben. Auch nach links folgte es willig. Aber als ich es dann nach rechts leitete, schnaubte es abermals, spielte mit den Ohren und warf den Schwanz im Kreis.
„Siehst du!“ sagte ich zu dem Wirt. „Da rechts ist jemand. Das hat der Rappe mir gesagt. Ich werde einmal nachsehen.“
In der sicheren Erwartung, einen Strolch zu erblicken, trieb ich den Rappen zwischen die Büsche hinein. Nach wenigen Schritten bereits sah ich den Mann, welchen mein Pferd gewittert hatte. Er trug die Kleidung und Bewaffnung eines Khawassen und lag ganz gemütlich im weichen Gras und rauchte seinen Tschibuk. Seiner selbstzufriedenen Miene war es anzusehen, daß er mit Gott, mit der Welt und wohl auch mit sich selbst in der allerschönsten Freundschaft lebe. Selbst das so unerwartete Erscheinen von fünf berittenen Männern schien ihn nicht aus der Fassung zu bringen. Wir hatten ihn jedenfalls in einem sehr tiefen Kef gestört.
„Allah sei mit dir!“ grüßte ich ihn.
„Und mit euch!“ antwortete er.
Er sah nämlich auch die andern, welche mir bis zu ihm gefolgt waren.
„Wer bist du, Freund?“ fragte ich.
„Siehst du das nicht?“
„Ein Khawaß?“
„Ja, ein Polizist des Großherrn, dem die ganze Welt untertan ist. Allah segne ihn!“
„Recht so! Dann fällt auch auf dich ein Teil des Segens.“
„Aber spärlich! Und dieses Teilchen wird nicht einmal pünktlich ausgezahlt.“
„Wo bist du angestellt?“
„In Ostromdscha.“
„Wie viele Kameraden hast du dort?“
„Noch neun.“
„So seid ihr zehn Khawassen. Habt ihr viel zu tun?“
„Sehr viel. Die Menschheit ist schlecht. Die Taten der Ungerechten lassen uns nie zur Ruhe und zum Schlaf kommen. Wir laufen Tag und Nacht, um das Verbrechen zu erreichen.“
„Ja, wir haben dich eben während eines solchen Dauerlaufes überrascht.“
Er ließ sich durch diese Ironie nicht aus der Fassung bringen, sondern antwortete:
„Ich lief, daß ich schwitzte, allerdings nur in Gedanken. Die Gedanken sind schneller als die Füße des Menschen. Darum soll man lieber mit ihnen gehen, als mit den Beinen. Dann kann kein Verbrecher entkommen.“
„Das ist eine höchst vortreffliche Anschauung von deinen Obliegenheiten.“
„Ja, ich nehme es stets ernst, denn das ist meine Pflicht.“
„Du liefst also soeben jemand nach?“
„Das tat ich.“
„Wem denn?“
„Geht dich das etwas an?“
„Nein.“
„Warum aber fragst du?“
„Weil du mir gefällst und weil du ein Philosoph bist, von dem man lernen kann.“
„Ich weiß nicht genau, wer dieser Feilessuf ist, aber ich muß ihn schon einmal gesehen haben. Aus deinen Worten ist leicht zu erraten, daß er ein kluger und vortrefflicher Mensch ist, denn du sagst, daß man von ihm lernen kann. Darum freut es mich, daß du mir die Ehre erweist, mich mit ihm zu vergleichen. Du hast feine Sitten und eine ganz vorzügliche Art des Lebens. Bist du von hier?“
„Nein.“
„Woher denn?“
„Aus einem fernen Land, welches weit im Westen von hier liegt.“
„Ah, ich kenne es! Es heißt India.“
„Du bist ein ausgezeichneter Geograph; aber ich habe geglaubt, daß Westen nach einer andern Richtung liege.“
„Nein, Westen liegt in India. Das ist das einzige Land, wo Westen liegen kann; sonst gibt es nirgends Platz dafür. Aber wenn du nicht von hier bist, so erfordert es meine Pflicht, dich nach deinem Paß zu fragen. Hast du einen?“
„In der Tasche.“
„Zeige ihn mir!“
Da der Mann bei dieser Aufforderung ruhig liegen blieb und seine Pfeife weiterrauchte, so antwortete ich:
„Willst du nicht herkommen, um ihn zu sehen?“
„Nein, das schickt sich nicht.“
„Warum nicht?“
„Ich darf meine Würde nicht beleidigen.“
„Richtig! Ich die meinige aber auch nicht.“
„So fragt es sich, welche von beiden die größere ist. Jedenfalls die meinige.“
„Wieso?“
„Erstens bin ich Polizist, du aber bist ein Fremder. Zweitens liegt deine Heimat in einem ganz falschen Westen; also muß ich annehmen, daß bei euch alles falsch ist, auch die Pässe. Um mir aber einen falschen Paß anzusehen, erhebe ich keinen Finger, viel weniger mich selbst.“
Ich mußte laut auflachen.
„Du bist ein unvergleichlicher Beamter“, antwortete ich. „Deine Ansichten über deine Obliegenheiten sind so vortrefflich, daß man meinen sollte, der Prophet habe sie dir selbst diktiert.“
„Wenn du das denkst, so steige also ab, und legitimiere dich!“
Ich stieg auch wirklich
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