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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Khawassen standen dabei, und ganz in der Nähe saß ein alter Bekannter von uns, nämlich der Krüppel, an welchem wir draußen vor dem Ort vorübergeritten waren.
    Das Gesicht, welches er uns zeigte, war ein sehr interessantes. Er war wohl überzeugt gewesen, daß wir hier als Gefangene unsern Einzug halten würden. Daß wir hoch und stolz zu Roß und ohne alle polizeiliche Begleitung kamen, gab seinem Antlitz den Ausdruck einer so dummen Verwunderung, daß ich vielleicht darüber gelacht hätte, wenn nicht in seinen haßglühenden Augen etwas zu bemerken gewesen wäre, was mit der zur Schau getragenen Stupidität gar nicht im Einklang stand.
    Wir stiegen ab. Ich warf Osco die Zügel zu und trat zu den Khawassen.
    „Wo ist der Kodscha Bascha?“
    Ich sprach diese Frage in dem Ton eines gebietenden Herrn aus. Der Gefragte machte ein militärisches Zeichen der Ehrerbietung und antwortete:
    „Drin in seiner Wohnung. Willst du mit ihm sprechen?“
    „Ja.“
    „So werde ich dich melden. Sage mir deinen Namen und dein Anliegen.“
    „Das werde ich ihm selbst sagen.“
    Ich schob ihn zur Seite und wendete mich nach der Tür. Da wurde dieselbe von innen geöffnet, und es trat ein langer dürrer Mensch heraus, der wohl noch hagerer als der Bettler und der alte Mübarek war.
    Seine Gestalt war in einen Kaftan gehüllt, welcher am Boden schleifte, so daß man die Füße nicht sehen konnte. Auf dem Kopf trug er einen Turban, dessen Tuch vor fünfzig oder noch mehr Jahren einmal weiß gewesen war. Sein Hals war so dünn und so lang, daß er den Kopf kaum zu tragen vermochte. Dieser Kopf wackelte und schwankte hin und her, auf und nieder, so daß es den Anschein hatte, als ob die lange, scharfe Riesennase eine ganz besondere Zuneigung zu dem wie ein Kropf hervortretenden Kehlkopf hege.
    Er blinzelte mich erstaunt mit den kleinen, wimpernlosen und rotumränderten Triefaugen an und fragte:
    „Zu wem willst du?“
    „Zu dem Kodscha Bascha.“
    „Der bin ich. Wer bist du?“
    „Ich bin ein Fremder, welcher Veranlassung hat, dir eine Beschwerde vorzutragen.“
    Er wollte antworten, kam aber nicht dazu, denn in diesem Augenblick lief der Sergeant von seinen Leuten gefolgt, zum Tor herein, hielt bei unserm Anblick erstaunt an und rief keuchend:
    „Allah w' Allah! Da sind sie ja!“
    Mit und hinter ihm drängten sich noch immer mehr Menschen herein; aber keiner sprach ein Wort. Es ging so ruhig und lautlos zu, als ob wir uns in einer Moschee befunden hätten. Der Ort, an welchem eine hölzerne Bank ihre vier Beine gen Himmel reckte, war den guten Leuten heilig. Vielleicht war mancher von ihnen auf diese Bank geschnallt worden, mit den nackten Fußsohlen an die hölzernen Beine gefesselt. Solche Erinnerungen pflegen überwältigend zu sein.
    Der Beamte wendete sich, anstatt mir zu antworten, an den Sergeanten:
    „Nun, ihr bringt ihn noch immer nicht? Wollt etwa ihr die Bastonade haben an seiner Stelle?“
    Da deutete der vom schnellen Laufen ganz atemlose Khawaß auf mich und antwortete:
    „Da ist er ja, Herr!“
    „Was? Dieser ist es?“
    „Ja.“
    Der Kodscha Bascha wendete sich schnell wieder zu mir und betrachtete mich vom Scheitel bis zu den Sohlen. Dabei wackelte sein Kopf, wie wenn es seine Lebensaufgabe gewesen wäre, durch diese unaufhörlichen Pendelbewegungen die Kugelgestalt der Erde zu beweisen. Sein Gesicht nahm einen strengen, finstern Ausdruck an, und er sagte barsch:
    „Du also du bist der Arrestant!“
    „Ich? Nein, der bin ich nicht“, antwortete ich ruhig.
    „Dieser mein Sergeant der Khawassen sagt es mir doch!“
    „Er sagt die Unwahrheit.“
    „Nein, ich sage die Wahrheit. Er ist es“, behauptete das Organ der Sicherheit.
    „Hörst du es?“ donnerte mich der Kodscha Bascha an. „Du nennst ihn einen Lügner; ich aber weiß, daß er stets die Wahrheit spricht.“
    „Und ich sage dir, daß er lügt! Hast du uns vielleicht gesehen, als wir in den Hof kamen?“
    „Ja, ich stand am Fenster.“
    „So wirst du bemerkt haben, daß wir zu Pferde saßen. Ich komme freiwillig zu dir. Deine Khawassen sind uns später gefolgt. Nennst du das eine Verhaftung?“
    „Ja. Du bist zwar ein wenig eher gekommen, aber die Polizei hat euch geholt, und so seid ihr arretiert worden. Ihr seid meine Gefangenen.“
    „Da befindest du dich in einem gewaltigen Irrtum.“
    „Ich bin der Kodscha Bascha und irre mich nie. Merke dir das!“
    Indem er dies laut und im strengsten Ton rief, wackelte er mit dem Kopf so

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