15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
euch zu befragen.“
Ich sah es ihm an, daß er eine ganz andere Antwort beabsichtigt hatte, aber sie kam ihm nicht über die breiten Lippen.
„Das ist etwas anderes. Vorhin sprach jemand von Bestrafung. Geh' also und melde dem Zabtieh Muschiri, daß wir sofort erscheinen werden.“
„Das darf ich nicht, Herr!“ antwortete er.
„Warum?“
„Ich muß euch mitbringen. Ich soll euch sogar arretieren.“
„Weiß denn der Muschiri, wer wir sind?“
„Nein, Herr.“
„So laufe schnell zu ihm und sage ihm, daß wir nicht Männer seien, welche sich deshalb arretieren lassen möchten.“
„Das darf ich wirklich nicht. Tu' mir den Gefallen und gehe mit. Die Herren warten schon lange.“
„Welche Herren?“
„Die Beisitzer.“
„Ah so! Nun, so will ich aus Rücksicht für diese Herren ohne Säumen aufbrechen. Kommt also heraus!“
Die Khawassen hatten sich das Arretieren wohl ganz anders gedacht. Ich schritt voran in den Hof, hinter mir kamen die Gefährten und nach diesen die Khawassen. Da standen unsere gesattelten Pferde.
Dem Sergeanten schien ein Licht aufgehen zu wollen. Er kam zu mir heran und fragte:
„Warum geht ihr in den Hof? Der gerade Weg führt doch nicht hierher nach den Ställen, sondern dort zum Tor hinaus.“
„Habe keine Sorge“, antwortete ich. „Wir werden diesen Weg sofort einschlagen.“
Schnell trat ich zu meinem Rappen und stieg auf.
„Halt!“ schrie er. „Ihr wollt uns entfliehen. Herab mit dir! Laßt die andern nicht aufsteigen!“
Seine Leute wollten sich der Pferde bemächtigen, und er selbst packte mich bei einem Bein, um mich herabzuziehen.
Da nahm ich den Rappen vorn hoch empor und ließ ihn auf den Hinterhufen einen Kreis beschreiben. Der Sergeant mußte loslassen.
„Seht euch vor, ihr Leute!“ warnte ich laut. „Mein Pferd wird leicht scheu.“
Ich zwang es zu einigen Lançaden, so daß es unter die Khawassen fuhr, welche schreiend auseinander stoben. Dadurch gewannen meine Leute Zeit, aufzusteigen, und nun ritten wir im Galopp zum Tor hinaus.
„Odschurola – lebe wohl! Auf Wiedersehen!“ rief ich dem Sergeanten zurück.
„Dur, dur – halt, halt!“ brüllte er, indem er mit seinen Untergebenen hinter uns hersprang.
„Laßt sie nicht fort! Haltet sie auf, die Diebe, die Räuber, die Halunken!“
Leute, uns aufzuhalten, wären genug dagewesen. Die Kunde, daß wir arretiert werden sollten, hatte sich schnell in dem Ort verbreitet und eine ansehnliche Menschenmenge herbeigelockt.
Aber diesen braven Untertanen des Beherrschers der Gläubigen fiel es gar nicht ein, Hand an uns zu legen und dadurch vielleicht unter die Hufe unserer Pferde zu geraten. Sie rissen vielmehr schreiend vor uns aus.
Welchen Weg ich einzuschlagen hatte, um an den Ort zu gelangen, den wir hier in Deutschland mit dem Wort ‚Amtsgericht‘ bezeichnen würden, das sah ich deutlich, da sich diese Richtung mit Leuten belebt hatte, welche der für sie jedenfalls hochinteressanten Kriminalverhandlung beiwohnen wollten. Dennoch fragte ich im Vorbeireiten einen alten Mann, der sich scheu vor uns zur Seite drängte:
„Wo wohnt der Kasi von Ostromdscha?“
Er zeigte nach einer Gasse, welche auf den freien Platz mündete, und antwortete:
„Reite dahinein, Herr. Du wirst rechts den Halbmond mit Stern über dem Tor sehen.“
Wir folgten seiner Weisung und gelangten an den Leuten, welche dieselbe Richtung einschlugen, vorüber zu einer langen hohen Mauer, in deren Mitte sich das bezeichnete Tor öffnete.
Durch dasselbe kamen wir in einen großen, viereckigen Hof, in welchem wir von einer ansehnlichen Schar Neugieriger empfangen wurden.
Dem Tor gegenüber stand das Amts- und Wohngebäude, aus Fachwerk errichtet. Die Balken waren grün, und die Füllung war blau angestrichen, was einen wunderlichen Eindruck machte.
Der Hof war außerordentlich schmutzig. Nur der Teil längs des Hauses war einige Meter breit mit einer Vorrichtung versehen, welche jedenfalls ein Pflaster vorstellen sollte. Doch sah dieses Trottoir grad so aus, als ob es aufgerissen worden sei, um als Material zu einem Barrikadenbau zu dienen.
Vor der Tür stand ein alter Lehnstuhl, welchen ein vorweltliches Polsterkissen zierte. In der Nähe lag eine umgekehrte Holzbank, welche ihre vier Beine nach oben reckte. Einige Stricke und ein Bündel daumenstarker Stöcke ließen vermuten, daß wir diejenige Anstalt der hiesigen Gerechtigkeitspflege vor uns hatten, welche der Erteilung der Bastonade gewidmet ist. Einige
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