15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
Eigentum!“
Der Ton, in welchem er sprach, zeigte, daß der Dicke die feste Absicht hatte, seinen Wein zu retten; da aber bemerkte der Bettler lachend:
„Streitet euch nicht über die Gebote des Propheten. Der Wein kann nicht getrunken werden.“
„Warum?“ fragte der frühere Besitzer des umstrittenen Gegenstandes.
„Weil er bereits getrunken worden ist.“
„Mensch, was fällt dir ein! Wer gab dir das Recht dazu?“ rief der Bäcker.
„Du selbst. Du hast ihn ganz ausdrücklich mir gesandt. Ich habe ihn mit den Gefährten geteilt. Wärst du eher gekommen, so hättest du mittrinken können. Dort liegt die Flasche, nimm sie mit und rieche daran, wenn deine Seele sich nach ihr sehnt.“
„Sei ein Erbe des Teufels, du Spitzbube! Niemals im Leben wirst du wieder eine Gabe von mir erhalten.“
„Ich brauche sie ja auch nicht, obgleich ich für einen Bettler gelte; das weißt du so gut wie ich.“
„Jetzt fort mit dem Streit!“ befahl der Waffenschmied. „Erzähle weiter, Saban!“
Der Genannte kam der Aufforderung nach. Er sagte:
„Der Fremde mochte glauben, daß ich schlafe. Er trat zu mir und grüßte so laut, daß ich tat, als ob ich erwache. Er fragte, ob ich Saban heiße und den Färber Boschak kenne, welcher mir hier diese Gabe sende. Er kniete neben mir nieder, um das Päckchen zu öffnen, welches die Gaben Boschaks enthielt. Da sah ich die Gefährten, welche leise eingetreten waren. Ich faßte ihn schnell, zog ihn zu mir nieder, und er bekam den Kolbenschlag, welcher ihn sofort tötete. Wir haben ihn entkleidet, und nun können wir alles teilen, was er bei sich trug.“
„Ob wir sein Eigentum teilen, das steht noch sehr in Frage. Welche Gegenstände hatte er bei sich?“
Es wurde alles genannt. Man vergaß nicht die geringste Kleinigkeit. Selbst die Stecknadeln, von denen ich ein kleines Päckchen bei mir gehabt hatte, wurden gezählt. Für diese Gegend waren sie beinahe eine Seltenheit und bildeten infolgedessen eine ganz schätzbare Erwerbung.
Durch die nur ein klein wenig geöffneten Augenlider sah ich, daß der Waffenschmied aus Ismilan meine Büchse betrachtete.
„Dieses Gewehr ist nicht zehn Para wert“, sagte er. „Wer soll es tragen? Es ist schwerer als fünf lange türkische Flinten, und es gibt hier bei uns nicht so große Patronen, wie sie zur Ladung erforderlich sind. Es ist ein alter Feuerspeier aus der Zeit vor zweihundert Jahren.“
Der gute Mann hatte eben noch keinen Bärentöter in der Hand gehabt. Noch mehr aber schüttelte er den Kopf, als ihm nun auch der Henrystutzen gereicht wurde. Er drehte ihn nach allen Seiten, tastete und probierte eine Weile an ihm herum und gab dann unter einem verächtlichen Lächeln sein Gutachten ab:
„Dieser Fremdling muß Ratten im Kopf gehabt haben. Dieses Gewehr ist nichts als ein Spielzeug für Knaben, welche das Exerzieren lernen sollen. Man kann es nicht laden; man kann damit gar nicht schießen. Hier ist der Schaft und da der Kolben, dazwischen eine eiserne Kugel mit vielen Löchern. Wozu soll die Kugel sein? Etwa um die Patronen aufzunehmen? Man kann sie nicht drehen! Wo ist der Hahn? Der Drücker läßt sich nicht bewegen. Wenn der Mensch noch lebte, würde ich ihn auffordern, einen Schuß zu tun. Er könnte es nicht und müßte sich schämen!“
So wurde ein jeder Gegenstand besprochen, und es kamen da Urteile zum Vorschein, welche mich zum Lachen gebracht hätten, wenn dies mit meiner Lage zu vereinbaren gewesen wäre. Eben wollte der Ismilaner sich vom Boden erheben, um sich auch mein Pferd zu betrachten, als ich den Hufschlag eines sich langsam nähernden Rosses vernahm. Auch die Männer hörten es, und der Bettler trat vor die Tür.
„Wer kommt da?“ fragte der Ismilaner.
„Ein Fremder“, antwortete der Gefragte. „Ein kleiner Kerl, den ich noch nie gesehen habe.“
Und da hörte ich auch bereits den Gruß:
„Neharak mubarak – Dein Tag sei gesegnet!“
„Neharak sa'id – Dein Tag sei beglückt! Wer bist du?“
„Ein Reisender aus der Ferne.“
„Woher kommst du?“
„Aus Assemnat.“
„Und wohin willst du?“
„Nach Gümürdschina, wenn du es erlaubst.“
„Du bist sehr höflich, denn du bedarfst meiner Erlaubnis ja gar nicht.“
„Ich bin höflich, weil ich wünsche, daß auch du es seist. Ich möchte eine Bitte an dich richten.“
„Sprich sie aus!“
„Ich bin ermüdet und sehr hungrig. Erlaubst du mir, in dieser Hütte auszuruhen und meine Mahlzeit bei dir zu
Weitere Kostenlose Bücher