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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verzehren?“
    „Ich habe keine Speise für dich; ich bin arm.“
    „Ich habe Brot und Fleisch bei mir, und du sollst auch davon haben. Es reicht für uns beide.“
    Ich war äußerst gespannt, was der Bettler jetzt antworten werde. Man kann sich mein Entzücken denken: ich hatte die Stimme des Fremden sofort erkannt; es war diejenige meines kleinen braven Hadschi Halef Omar.
    Wo hatte er während der Nacht gesteckt? Wie kam er hierher? Auf welche Weise hatte er erfahren, daß ich in dieser Richtung zu suchen sei? Diese und ähnliche Fragen gingen mir durch den Kopf. Auf alle Fälle mußte er annehmen, daß ich hier abgestiegen sei, denn er sah ja mein Pferd draußen stehen. Und ebenso mußte er erkennen, daß man mich feindselig behandelt hatte. Der Bettler hatte nämlich mein Bowiemesser in der Hand. Es war leicht zu schließen, daß man es mir abgenommen hatte.
    Mir bangte für den Freund, und doch kam es wie ein Gefühl der Sicherheit über mich. Halef wagte gewiß und ohne Zaudern das Leben, um mich zu befreien.
    Der Ismilaner war aufgestanden; er schob den Bettler beiseite, trat an den Eingang, betrachtete sich den Hadschi und sagte im Ton des Erstaunens:
    „Was sehe ich, Fremdling! Du hast die Koptscha!“
    „Ah! Du kennst dieses Zeichen?“ fragte Halef.
    „Siehst du nicht, daß ich es auch trage?“
    „Ich sehe es. Wir sind also Freunde.“
    „Von wem hast du den Knopf?“
    „Meinst du, daß man ein Geheimnis so leicht offenbart?“
    „Du hast recht. Steig ab, und sei uns willkommen, obgleich du in ein Haus der Trauer kommst!“
    „Um wen trauert ihr?“
    „Um einen Verwandten des Herrn dieser Hütte. Er starb in voriger Nacht an einem Schlaganfall. Seine Leiche liegt da in der Ecke, und wir sind versammelt, um die Gebete zu verrichten.“
    „Allah gebe ihm die Freuden des Paradieses!“
    Bei diesen Worten schien Halef vom Pferd zu steigen. Dann hörte ich ihn sagen:
    „Welch ein schönes Pferd! Wem gehört dieser Rapphengst?“
    „Mir“, antwortete der Waffenschmied.
    „So bist du zu beneiden. Dieses Pferd stammt sicher von der Stute des Propheten, welche Zeugin war, wenn ihm des Nachts die Boten Allahs erschienen.“
    Er trat ein, begrüßte die anderen und richtete dann den Blick in meine Ecke. Ich sah seine Hand nach dem Gürtel fahren; aber glücklicherweise besaß er genug Macht über sich, um sich nicht zu verraten.
    „Dies ist der Tote?“ fragte er, nach mir zeigend.
    „Ja.“
    „Erlaubt, daß ich ihm seine Ehre gebe!“
    Er wollte sich mir nähern. Da sagte der Bettler:
    „Laß ihn ruhen! Wir haben bereits die Gebete des Todes über ihn gesprochen.“
    „Aber ich nicht. Ich bin ein Orthodoxer und pflege die Gebote des Koran zu erfüllen.“
    Er trat jetzt, ohne gehindert zu werden, herbei und kniete wie zum Gebet neben mir nieder, den Rücken gegen die anderen gewendet. Ich hörte das Knirschen seiner Zähne. Da ich mir wohl denken konnte, daß jetzt die Augen aller Anwesenden auf ihn und mich gerichtet seien, hielt, ich die meinigen fest geschlossen, aber ich flüsterte, natürlich nur für ihn vernehmbar:
    „Halef, ich lebe.“
    Er holte tief, tief Atem, als sei eine große Last von ihm genommen, blieb noch eine Weile knien und erhob sich dann wieder, blieb aber bei mir stehen und sagte:
    „Dieser Tote ist ja gefesselt!“
    „Wundert dich das?“ fragte der Waffenschmied.
    „Natürlich! Man fesselt ja nicht einmal die Leiche eines Feindes. Ein Toter kann keinem mehr schaden.“
    „Das ist richtig; aber wir mußten diesen armen Menschen binden, denn als der Anfall über ihn kam, tobte er wie ein Wahnsinniger. Er rannte wütend hin und her; er schlug und stach um sich, so daß er unser Leben gefährdete.“
    „Nun aber ist er tot. Warum nehmt ihr ihm die Bande jetzt nicht ab?“
    „Wir dachten noch nicht daran.“
    „Das ist Entweihung eines Abgeschiedenen. Seine Seele kann nicht von hinnen gehen. Gehört ihr etwa zu den Ausgetretenen?“
    „Nein.“
    „So müßt ihr ihm die Hände falten und sein Gesicht in die Richtung nach Mekka legen!“
    „Weißt du nicht, daß man sich verunreinigt, wenn man eine Leiche berührt?“
    „Ihr seid ja bereits unrein, da ihr euch mit ihr in demselben Raum befindet. Ihr braucht den Toten gar nicht zu berühren. Schneidet die Fesseln mit einem Messer entzwei, und faßt ihn mit einem Tuch an. Hier habe ich mein Taschentuch. Soll ich es für euch tun?“
    „Du bist ja sehr um seine Seele besorgt!“
    „Nur um die meinige. Ich bin ein

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