1508 - Der Templerjunge
mir einen Teil seiner Kraft, damit ich so sein kann, wie ich jetzt bin. Mensch und Geistwesen. Existieren in einer doppelten Existenz. Das hat mir Baphomet versprochen, und das hat er gehalten. Aber auch ich habe ihm ein Versprechen gegeben. Und das habe ich ebenfalls gehalten. Ich habe ihm versprochen, für Nachwuchs zu sorgen. Ich würde einen Sohn haben und ihn später, wenn er alt genug ist, an mich nehmen und ihn in seinem Geist erziehen. Die ersten Jahre haben mich nicht interessiert, nun aber bist du alt genug, mein Junge, und ich habe mich entschlossen, dich an meine Seite zu holen. Wir werden ab nun unseren Weg gemeinsam gehen. Du hast das richtige Alter erreicht, um in die Künste der schwarzen Magie eingeweiht zu werden.«
Imre Kovec hatte jedes Wort verstanden. Es fiel ihm nur nicht leicht, dies alles zu begreifen. Von dieser anderen Welt hatte er nie etwas gehört.
Der Name Baphomet war ihm ebenfalls unbekannt. Er wollte auch nicht mit ihm paktieren, und wenn er einen Blick auf seine Mutter warf, die rücklings auf dem Tisch lag und aus den kleinen Wunden immer mehr Blut verlor, dann war er erst recht fest entschlossen, nicht mit dem Vater zu gehen.
»Nein«, sagte er leise, »nein, das werde ich nicht tun. Ich kenne dich nicht. Ich will dich auch nicht kennen lernen. Du bist ein Albtraum. Du bist kein richtiger Mensch. Du bist etwas Böses, und das Böse muss man aus seinem Leben verbannen, hat Mutter immer gesagt. Danach werde ich mich richten. Ich werde nie auf deiner Seite stehen, das habe ich dir in der letzten Nacht und gerade eben bewiesen. Dabei bleibt es.«
Er redete mit zittriger Stimme weiter. »Für mich bist du kein richtiger Mensch, denn der Mensch hat ein Herz und eine Seele. Beides hast du nicht. Du lebst anders. Du gehörst einfach nicht zu uns, und ich gehöre nicht zu dir. Meine Gene sind nicht alle von dir. Ich habe etwas von dir mitbekommen, das mich von anderen heraushebt, aber das will ich gar nicht. Ich will nur meinen Frieden haben.«
»Den findest du bei mir.«
Imre schüttelte den Kopf. Er war ein Junge, der wirklich in diesem Moment über sich hinauswuchs und auch bei seiner Meinung blieb.
»Nichts finde ich bei dir. Ich bleibe bei meiner Mutter.« Um das zu demonstrieren, ging er einen Schritt auf den Tisch zu.
Marita Kovec hatte trotz der Schmerzen alles genau verstanden. Und auch in dieser Lage dachte sie nur an ihr Kind. In ihrer liegenden Position drehte sie den Kopf nach links, und sie versuchte sogar mit ihren blutigen Lippen ein Lächeln.
»Bitte, Imre, ich liebe dich. Und weil ich dich liebe, sollst du auch leben.«
»Ich werde leben!«, flüsterte er mit einer Stimme, die rau und fremd klang. »Aber ich will mit dir leben, verstehst du? Nur mit dir, Mutter.«
»Das geht nicht mehr. Geh mit ihm. Ich lasse dich los.«
»Nein, das werde ich nicht!«
Der Templer meldete sich. »Dann wird sie sterben, und du kannst dabei zuschauen!«
Konnte Blut zu Eis werden? Der Junge zumindest hatte das Gefühl. In seinem Inneren war alles erkaltet, und er sagte tonlos: »Dann musst du mich auch umbringen!«
De Lacre hatte seinen Spaß. Da die Kutte einen Ausschnitt hatte, war zu sehen, wie sich sein dunkler Körper dort bewegte. Er schien nur als eine schwarze Masse zu bestehen, die zum Kopf hin ihre Farbe ein wenig veränderte, denn sie schimmerte dort in einem tiefen Violett, was sich auch auf dem Gesicht ausgebreitet hatte, aus dem die raubtierartigen, gelben Augen hervorstachen.
»Du gehörst mir!«, flüsterte die Gestalt. »Und deine Mutter gehört der Hölle!«
Die Worte waren so etwas wie ein Abschluss, das spürte Imre genau. Er nahm auch wahr, dass die Hand mit dem Messer zuckte. Das Ende der Klinge zielte auf die Kehle der Mutter. Es gab keinen Zweifel daran, dass de Lacre zustoßen würde.
»Neinnnn!«
Ein kurzer Schrei, dann warf sich der Junge über den Körper seiner Mutter, um sie zu beschützen…
***
Wir hatten genug gehört. Wir hielten uns draußen dicht hinter der Plane auf, um nur kein Wort zu verpassen.
Wir hörten auch den Schrei und wussten, dass es für uns Zeit wurde, einzugreifen.
Die Waffen hatten wir bereits gezogen.
Mit der freien Hand ergriffen wir die Ränder der Planenteile und zerrten sie in verschiedene Richtungen weg. So hatten wir freie Bahn.
Imre lag über dem Körper seiner Mutter in einer schrägen Haltung. Er hatte den linken Arm in die Höhe gestreckt und dabei seine Hand so gedreht, dass sie dem herabstoßenden
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