1516 - Chaos im Humanidrom
ereignen müssen - ein Zwischenfall, den Eirene sich bis auf den heutigen Tag nicht erklären konnte - bevor Willom sie als Elevin annahm.
*
Damals lag Willoms ANEZVAR auf dem Raumhafen Terrania, irgendwo weit abseits von den meistbenützten Landeplätzen. Das Schiff ruhte auf einem hauchdünnen Prallfeld, so daß man, wenn man nur flüchtig hinsah, hätte meinen können, es läge unmittelbar auf dem Boden. In Wirklichkeit schwebte es ein paar Millimeter über der hellgrauen, fein geriffelten Landefläche.
Eirene kam per Gleiter. Sie hatte die ANEZVAR schon aus einiger Entfernung angesprochen.
Auf der kleinen Bildfläche des Radiokoms war Willoms Gestalt erschienen. Nicht allzu freundlich hatte der Nakk sich erkundigt: „Du! Was willst du schon wieder?"
„Ich will mich mit dir unterhalten", hatte Eirene geantwortet. „Ich will mit dir über das Innerste sprechen."
Sie wußte wohl, welches Wagnis sie mit dieser Äußerung einging. Aber inzwischen glaubte sie auch zu verstehen, wie man Willom anfassen mußte. Seine Reaktion war vorhersehbar. Seine Stimme, von Mikrosynthesizern hervorgebracht, klang zornig, als er sagte: „Das Innerste interessiert nur uns Nakken! Kein Außenstehender hat das Recht, sich für ..."
„Sprich nicht von Recht", fiel sie ihm ins Wort. „Jedes intelligente Wesen hat das Recht, nach Wissen zu streben. Es gibt keine Macht im Kosmos, die den Nakken das Privileg verliehen hat, als einzige nach dem Innersten forschen zu dürfen."
Ihre Worte schienen ihn nachdenklich zu stimmen. Von der Bildfläche herab waren seine rötlich leuchtenden Augen starr auf Eirene gerichtet. Der lippenlose Mund bewegte sich, als wollte er Worte hervorbringen, deren Laute sich nicht formen ließen. „Es könnte sein, daß du wahr sprichst", sagte er schließlich. „Ich muß darüber nachdenken.
Komm einstweilen an Bord."
So war Eirene an Bord der ANEZVAR gelangt. Die Unterhaltung mit Willom hatte ihr wenig gebracht. Der Nakk sprach über das Innerste in Begriffen und Ausdrücken, die sie nicht verstand. Er war überaus gesprächig, als hätte er sich ihre Feststellung, daß die Nakken nicht als einzige das Recht hätten, nach dem Innersten zu forschen, zu Herzen genommen. Aber er sprach mit der Mentalität seines Volkes, und Eirene verstand kaum ein Wort.
Dann geschah das Unerklärliche. Willom hielt mitten im Satz inne und starrte Eirene aus den an kurzen Stielen ausgefahrenen Augen an. Es geschah selten, daß man einen Nakken im Zustand akuter Überraschung erlebte.
Willom schien wie geschockt. Mit Mühe brachte er hervor: „Ich ... beginne zu verstehen ..., warum du mit mir sprechen wolltest. Du ... du bist eine Erleuchtete!"
Sie wollte ihn zuerst nicht ernst nehmen. Mit hellem Lachen antwortete sie: „Was redest du da? Ich bin nicht heller erleuchtet als ..."
Er ließ sie nicht aussprechen. „Sieh doch! Das Zeichen! Dort, an der Wand ..."
Eirene drehte sich um. Ein Teil der Wand des Raumes, den Willom als eine Art Wohnzimmer verwendete - ihr fiel kein besserer Ausdruck ein -, war mit einer spiegelnden Oberfläche versehen. Sie sah ihr Abbild - und auf der Stirn ein mattleuchtendes Gebilde, das sich ihrem Blick widersetzte und verschwamm und verschwand, bevor sie es erkennen konnte.
Erschreckt und atemlos wandte sie sich Willom zu. „Was war das?" fragte sie. „Das Symbol des Innersten. Du bist eine Erleuchtete! Du hast den Wunsch geäußert, meine Schülerin zu werden. Deinem Wunsch wird stattgegeben."
*
Sie hatte nie erfahren, was für ein Symbol es gewesen war, das da sekundenlang auf ihrer Stirn gestanden hatte.
Mit der Zeit verflog die Wißbegierde. Das Zusammensein mit Willom war derart faszinierend, daß sie alles vergaß, was ihr früher auf der Seele gelegen hatte. Sie lernte. Die Sprache der Nakken besaß zwei Aspekte, einen akustischen und einen anderen, den sie aus Mangel an besserem Verständnis als den lautlosen bezeichnete. Es gab eine nakkische Sprache, die für menschliche Ohren hörbar und von Menschen erlernbar war. Es gab daneben aber noch eine andere Art der Verständigungsweise, die auf Gebärden, Gesten, Körperbewegungen und ähnlichem beruhte. Eirene hatte die akustische Sprache rasch erlernt. Zu ihrem großen Kummer konnte man damit nur einfache Zusammenhänge zum Ausdruck bringen. Wenn ein Nakk einem anderen etwas so Banales mitteilen wollte wie: „Heute ist schönes Wetter", dann bediente er sich der gesprochenen Sprache. Hatte er dagegen
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