1518 - Sukos Albtraum
an.
»John, ich weiß, was hier gespielt wird. Sie geht zwar nicht mit uns, aber sie wird wohl kaum außen vor bleiben. Oder liege ich da falsch?«
»Nein, liegst du nicht. Ich gehe davon aus, dass wir sie bald wiedersehen.«
»Im Theater?«
»Ja, im Zelt.«
»Aber nicht als Shao?«
Ich brauchte Glenda keine Antwort zu geben, denn sie wusste Bescheid über Shaos zweite Existenz. Als Phantom mit der Maske hatten wir sie lange nicht mehr erlebt, aber wenn sie eingriff, dann brannte der Busch.
Glenda schaute auf die Uhr. »Jetzt ist Mittag, John. Es liegen noch einige Stunden vor uns.«
»Ja, und ich hoffe, dass Suko sich vielleicht doch meldet und nicht alles allein durchziehen wird.«
»Gut gesagt, Geisterjäger. Aber ich sehe in dir mehr den Mann im Glashaus, der nicht mit Steinen werfen sollte. Oder hast du deine Alleingänge vergessen?«
»Manchmal schon«, gab ich zu.
»Dann solltest du dich jetzt wieder daran erinnern und Suko keine Vorwürfe machen.«
Glenda hatte ja recht. Aber das gab ich ihr gegenüber nicht zu…
***
Allein sein und vorerst auch bleiben. Keinen anderen Menschen mit hineinziehen. So lautete Sukos Devise, und die würde er auch durchziehen, denn das war eine Sache, die nur ihn etwas anging. Auch nicht Shao und nicht John Sinclair.
Er hatte alles gut vorbereitet und sich die Krone der Ninja geholt. Sie war für ihn verdammt wichtig, denn Suko wusste nur zu genau, wie gefährlich sein Gegner war. Das hatte er bereits damals im Kloster festgestellt.
Ai Wei war schon als junger Mensch jemand gewesen, der sich mit den dort herrschenden Gesetzen nicht hatte anfreunden können. Er war zu sehr Individualist, und eine Gemeinschaft war Gift für ihn, wie er sehr schnell hatte feststellen müssen.
Suko erinnerte sich daran, wie er durchgedreht war. Er hatte sich einen Kendo-Stock besorgt und auf andere Schüler eingeschlagen, bis man ihn mit Gewalt hatte stoppen müssen. Er war anschließend bestraft worden. Eingesperrt in eine kahle Zelle, mit einem Krug Wasser und einer Schale Reis am Tag.
Er hatte geläutert werden sollen, aber das Gegenteil war der Fall gewesen. In dieser Zeit hatte er sich schlimm benommen, das Wasser weggegossen, den Reis nicht gegessen. Er hatte geschrien, getobt und davon gesprochen, dass er einen anderen Weg gehen und finden würde.
Einen, der ihn zur Hölle führte, mitten hinein in eine der achtzehn Höllen, deren Schlünde sich vor ihm auftaten.
Suko wusste, dass die Lehrer und Mönche alles versucht hatten, ihn wieder zu bändigen und auf den richtigen Weg zurückzuführen, aber Ai Wei hatte nicht gehört und keine Lehren angenommen. So war er aus dem Kloster verstoßen worden, und man hatte ihn sich selbst überlassen.
Suko war Zeuge des Austritts gewesen. Noch jetzt sah er die Szene sehr deutlich vor sich. Er und Ai Wei hatten beisammen gestanden und vom Hügel her über die Einsamkeit des Landes geschaut. Wahrscheinlich hatten die Mönche Suko nur deshalb mitgenommen, damit er sah, was mit denen passierte, die sich den Regeln widersetzten.
Ai Wei war gelaufen wie von Peitschenhieben getrieben. Nach einigen Schritten aber hatte er sich umgedreht, um noch mal zurückzuschauen.
Er hatte seine Hand gegen Suko ausgestreckt und ihn angeschrien.
»Irgendwann sehen wir beide uns wieder! Ich werde zurückkehren, und dann werde ich mächtig sein. Ein Mensch und ein Dämon, einer, der bereit ist, die Hölle auf zumischen. Warte es nur ab, ich halte meine Versprechen…«
Irgendwann, als man im Kloster von seinen ersten Untaten hörte, wählte man Suko aus, Ai Weis bösem Treiben ein Ende zu setzen. Es war ihm nicht geglückt. Dadurch hatte er sein Gesicht verloren und als Konsequenz das Kloster verlassen.
Seitdem hatte er nichts mehr von Ai Wei gehört. Bis vor zwei Tagen!
Er hatte es zunächst nicht glauben wollen, aber die Botschaft war zu deutlich gewesen. Es war kein Trittbrettfahrer, der sich als Ai Wei ausgegeben hätte.
Und Suko hatte nichts vergessen. Durch den Kontakt war ihm seine Zeit im Kloster und sein Versagen damals wieder präsent geworden.
Ai Wei existierte, und er war offenbar nach London gekommen, um seinen Racheschwur von damals endlich in die Tat umzusetzen.
Suko hatte darüber nachgedacht, und das war in aller Ruhe geschehen.
Er war mit dem BMW in den Southwark Park gefahren, wo es noch einsame Stellen gab, die nicht von Spaziergängern frequentiert wurden.
Da hatte er den Rest der Nacht abgewartet und war mit seinen Gedanken bis
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