1519 - Das Leichenbild
eigentlich entschwinden wollte.
Aber so hatten wir nicht gewettet. Ich musste sie zerstören. Sie durfte kein Unheil mehr anrichten, und ich sah, dass sie wieder dabei war, sich aufzulösen.
Ich war schneller.
Vier Stufen nahm ich beim ersten Sprung, und dann war das Kreuz dicht bei ihr. Ich musste nicht erst die Formal rufen, um es zu aktivieren. Bei dieser Bedrohung reagierte es von ganz allein.
Wieder strahlte das Licht auf. Und diesmal erlebte ich so etwas wie ein Miniwunder. Plötzlich baute sich innerhalb des Lichts eine Frau auf, die nichts mehr mit einer feinstofflichen Gestalt zu tun hatte. Es kam mir vor, als wäre der Leib der Toten aus dem Grab geholt Worden, um sich mir zu präsentieren.
Das Gesicht sah so aus wie auf dem Bild, doch innerhalb der nächsten Sekunden machte es eine Veränderung durch. Ich sah das andere, das böse Gesicht wieder vor mir.
Doch nur so lange, wie es die Macht des Kreuzes zuließ, denn noch auf der Treppe ereilte Amy Jackson die endgültige Vernichtung. Und es geschah lautlos, denn das Licht riss ihren Körper auseinander. Er flog in verschiedenen Teilen davon, die vor meinen Augen verglühten.
Danach war es, als hätte es eine Amy Jackson nie zuvor gegeben. Auf der Kanzel hatte sie vor dem Kreuz noch fliehen können, hier war ich der Stärkere gewesen.
Ich drehte mich langsam um und schaute die Stufen hinab.
Ebby Jackson stützte seine Schwiegermutter, die gierig nach Luft schnappte und deren Gesicht aufgequollen und verweint aussah.
Als Ebby sah, dass ich ihn anschaute, sagte er mit leiser Stimme: »Gerry Shannon ist tot.« Er schüttelte den Kopf. »Von seiner eigenen Tochter umgebracht. Ich begreife das nicht.«
Ich gab ihm keine Antwort, denn manchmal war das Leben einfach zu schwierig…
***
Als ich die Haustür öffnete, hatten sich mehr als ein Dutzend Menschen zusammengefunden. Mir war unbekannt, woher die Bewohner erfahren hatten, was sich hier abspielte. Aber sie waren gekommen, und unter ihnen befand sich auch jemand, den ich kannte.
Mit steifen Schritten kam Kevin Archer auf das Haus zu. Ich sprach ihn erst an, als er nahe genug vor mir stand.
»Es hat einen Toten gegeben. Gerry Shannon hat es erwischt. Aber seine Frau lebt. Um sie sollten Sie sich kümmern.«
»Natürlich.« Sein unruhiger Blick glitt an mir vorbei. »Und was ist mit Amy?«
Ich breitete die Arme aus. »Vergessen Sie Amy einfach, denn es gibt sie nicht mehr.«
»Wirklich?«
»Ich lüge nicht.«
»Und wie haben Sie es geschafft?«
Ich hatte keine Lust für lange Erklärungen. »Nehmen Sie es einfach hin, Mr Archer, das ist am besten.« Danach ließ ich ihn vorbei.
Er löste Ebby Jackson ab, der sich bis dahin um seine Schwiegermutter gekümmert hatte.
Jackson sah erleichtert aus, als er mich ansprach. »Das ist geschafft, Sir, aber darf ich Sie fragen, was jetzt mit mir wird?«
»Sie wollen sicher nicht zurück in die Zelle.«
»So ist es.«
Ich schlug ihm auf die Schulter. »Keine Sorge, ich denke, das brauchen Sie auch nicht. Ich werde mich mit einer befreundeten Staatsanwältin in Verbindung setzen und glaube, dass Sie gute Chancen haben, bald wieder ein freier Mann zu sein.«
»Danke, Mr Sinclair, danke.« Er ging schnell zur Seite, damit ich seine feuchten Augen nicht sah…
ENDE
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