1519 - Das Leichenbild
nicht eben normal gewesen. Er hatte die Leiche präpariert. Als Eltern hätten sie anders entscheiden können, aber sie waren einverstanden gewesen.
Nun dachte er daran, dass sie alle die Tote dem Teufel regelrecht zugespielt hatten.
Eine furchtbare Vorstellung und doch nicht von der Hand zu weisen, obwohl er nach einer normalen Logik nicht fragen durfte. Hier lagen die Dinge eben anders.
Und so stand er weiterhin in dem ehemaligen Kinderzimmer und schwieg. Er drehte sich auch einige Male im Kreis, aber es blieb leer, abgesehen von ihm.
Und doch konnte er nicht daran glauben. Es war nur ein Gefühl und vielleicht auch völlig falsch, doch er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, nicht völlig allein im Zimmer zu sein. Etwas war hier, allerdings nicht sichtbar.
»Gerry…?«, hörte er Sandras Stimme.
»Ich bin hier oben.«
»Wo denn?«
»In Amys Zimmer.«
»Und?«
»Es ist leer.«
»Dann kannst du ja wieder zu mir nach unten kommen.«
»Gleich, Sandra. Etwas ist nur komisch.«
Er hörte sie die Treppe hochkommen und vernahm dann ihre Stimme, die schon lauter klang, weil sie das Ende der Treppe fast erreicht hatte.
»Was ist denn komisch?«
»Sieh es dir selbst an.«
»Gut.«
Gerry trat zur Seite, damit seine Frau das Zimmer betreten konnte. Auch sie tat es vorsichtig, als würde sie eine völlig fremde Welt betreten.
Sie schaute sich scheu um, wollte eine Frage stellen, da entdeckte sie das zerstörte Kreuz.
»Nein!«, flüsterte sie und presste eine Hand gegen ihre Lippen. »Das ist doch nicht möglich.«
»Doch. Das Kreuz ist zerstört.«
Sie musste schlucken. »Hast du es getan, Gerry?«
»Quatsch. Dann hättest du was gehört. Nein, ich habe es beim Eintreten so vorgefunden.«
Sandra stierte die Reste an. Schließlich sagte sie: »Dann ist es ein Einbrecher gewesen.«
»Auch das nicht.«
Sie atmete scharf aus. »Wer hätte denn sonst noch Interesse daran haben können…« Sie sprach nicht weiter und schloss ihre Lippen. Ein bestimmter Gedanke war ihr durch den Kopf gezuckt, und sie stellte sofort danach die Frage.
»Glaubst du, dass es Amy war?«
Gerry Shannon senkte den Blick.
»Also doch!«
»Ja, ich denke schon.«
»Aber sie ist tot, Gerry. Sie liegt unter der Erde. Sie wird irgendwann nur noch Staub sein…«
»Sie ist so mächtig, Sandra. Und diese Macht stammt nicht von dieser Welt, glaub mir.«
»Dann denkst du an den Teufel.«
»Ja, an ihn denke ich.«
Die Frau nickte. Sie schaute dabei auf die Holztrümmer am Boden. »Ja, wenn man den Teufel nimmt, dann verstehe ich das schon. Er hasst das Kreuz. Es ist so etwas wie ein Zeichen seiner Niederlage. Das kann er nicht überwinden. Und unsere Tochter hat sich der Hölle zugewandt. Sie ist einen falschen Weg gegangen.«
»Sie hätte hier in Blackwater bleiben sollen«, sagte Gerry Shannon mit leiser Stimme.
»Wir haben sie nicht halten können. Amy war hier alles zu eng, zu spießig. Sie wollte weiterkommen und sich entwickeln, und dafür hat sie hier keine Chance gesehen.«
»So ergeht es doch vielen. Was hätten wir denn tun sollen, als sie uns besuchte?«
Es gab keine Antwort. Die Eltern hingen ihren eigenen Gedanken nach, und nach einer Weile übernahm Sandra wieder das Wort.
»Hast du auch das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt?«
»Wie meinst du das?«
»Ich fühle mich beobachtet!«, flüsterte die Frau. »Aber ich sehe niemanden.«
»Das ist sie, Sandra. Das ist unsere Tochter. Oder ihr Geist, verstehst du?«
»Und was will sie?«
Darauf gab er ihr keine Antwort, obwohl er schon etwas ahnte. Doch es hätte ihn eine zu große Überwindung gekostet, dies auszusprechen.
»Ich habe Angst, Gerry!«
»Ja, das verstehe ich.«
»Du auch?«
»Sicher.«
Sandra sprach weiter. »Allmählich glaube ich, dass wir Vieles falsch gemacht haben, was Amy angeht. Wir hätten nicht so abweisend zu ihr sein sollen, auch wenn sie uns mit ihren kruden Gedanken über den Teufel gekommen ist. Ich bin mir bei allem nicht mehr sicher. Nicht mal bei ihrem Mörder, Gerry.«
»Wie meinst du das denn?«
»Wie ich es sagte.«
»Glaubst du nicht mehr daran, dass er Amy getötet hat?«
»So meine ich das nicht. Er hat sie schon getötet. Nur könnte ich mir vorstellen, dass es wirklich keine Absicht gewesen ist, sondern ein Unglück. Hätte man ihm sonst diesen Hafturlaub zugebilligt? Und er kann auch hier erschienen sein, um sein Gewissen zu erleichtern. Ich jedenfalls bin jetzt durcheinander.«
»Ich auch. Nur frage ich
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