1519 - Das Leichenbild
mich, was wir tun können.«
»Mit dem Pfarrer reden. Er gehört zu uns. Wir haben mit ihm über die Beerdigung gesprochen. Er war dafür, die Zeichen auf die Leiche zu malen. Er wollte sie so dem Teufel überlassen. Gewissermaßen als Opfer, damit er uns in Ruhe lässt. Aber da hat er sich wohl geirrt. Er hat die Macht der Hölle einfach unterschätzt oder wie auch immer.«
»Ja, und so habe ich keine Ruhe gefunden…«
Urplötzlich war die Stimme da. Sie hatte nur wispernd geklungen, und doch wussten die beiden alten Menschen, wer zu ihnen gesprochen hatte.
Amy, ihre tote Tochter!
***
Es gab in den folgenden Sekunden nichts mehr zu sagen, obwohl ihnen unzählige Gedanken durch den Kopf jagten. Sie konnten sich auch nicht bewegen und blieben auf der Stelle stehen, als würden sie einem Echo nachlauschen.
Nur die Augen bewegten sie, aber sie nahmen nichts wahr, im Gegensatz zu den Ohren, denn die Stimme aus der unsichtbaren Welt war erneut zu hören.
»Ihr habt so viel falsch gemacht. Ihr seid nicht mehr meine Eltern.«
Die Worte trafen sie hart. Jetzt war es Mrs Shannon, die als Erste reagierte. Sie streckte ihre Arme nach vorn und schaute zur Zimmerdecke. Zu dieser flehenden Haltung passten auch ihre Worte.
»Bitte, Kind, sag uns doch, was wir falsch gemacht haben. Wir konnten es nicht wissen. Du bist uns so fremd gewesen, als du uns hier in Blackwater besucht hast. Wir wussten nicht, was wir - ich meine - du musst uns verstehen.« Es machte Sandra nichts aus, mit ihrer Tochter so zu sprechen, als wäre sie noch am Leben. »Was ist denn so falsch gewesen? Als man dich hierher in den Ort brachte, da bist du nicht mehr am Leben gewesen. Denk mal daran.«
»Das weiß ich. Aber ihr habt etwas mit mir angestellt, ohne darüber nachzudenken. Ihr habt mich als Opfer für den Teufel begraben lassen, und das wollte ich nicht.«
»Bitte, Kind, bitte! Du hast doch selbst immer bei deinen Besuchen vom Teufel gesprochen. Haben wir dir mit deiner Beerdigung keinen Gefallen getan?«
»So ist es. Der Pfarrer hat sich alles so schön ausgedacht. Er wollte mich ganz dem Teufel in die Arme treiben, damit er in der Hölle Pluspunkte sammeln kann.«
»Was hätten wir denn machen sollen?«
»Ganz normal beerdigen, Mutter. Wie es auch bei den anderen Toten passiert ist. Wenn das eingetreten wäre, dann hätte ich meinen Seelenfrieden erhalten. Aber den habe ich nicht. Ich irre umher. Mein Geist weiß nicht, wo er hingehört, und das kann und will ich nicht akzeptieren. Ich weiß zudem nicht, ob jemand irgendwann mal Erbarmen mit mir haben wird. Alles ist so unsicher. Aber ich weiß, dass ich abrechnen muss mit denen, die mir das antaten.«
Für die Eltern hörten sich die Worte nicht gut an. Sie waren ein Wust an Vorwürfen, und weder Sandra noch Gerry konnten ihrer Tochter eine Antwort geben.
Aber sie wussten, dass sie nicht unschuldig waren, und wenn Amy ihr Versprechen wahr machen wollte, dann würde sie selbst auf ihre Eltern keine Rücksicht nehmen.
Endlich traute sich auch Gerry, etwas zu sagen. »Was können wir denn tun, damit es dir gut geht?«
»Es ist zu spät.«
»Was heißt das?«
»Dass ihr versagt habt. Ihr seid an meinem verdammten Unglück schuld. Ich wollte am Ende den Teufel nicht mehr und habe gehofft, dass ich ihn hier loswerden kann. Aber seine Macht war einfach zu stark. Ich kam nicht gegen ihn an. Und ihr habt mir nicht geholfen. Dafür werde ich mich rächen.«
»Willst du uns töten?«, fragte Gerry.
»Ja, das will ich, denn auch eure Seelen sollen keine Ruhe finden. Und wenn ihr nicht mehr lebt, werde ich mir meinen Mann vornehmen und ihn ebenfalls vernichten. Ich habe ihn hergelockt, um hier mit ihm abzurechnen. Er hat sich auch nicht um mich gekümmert, als ich den falschen Weg einschlug. Jetzt aber bin ich zurückgekehrt und werde entsprechend handeln.«
Beide Menschen konnten es nicht fassen.
Der Geist ihrer Tochter wollte die eigenen Eltern töten. So etwas kannten sie nicht mal aus Filmen, und sie sahen in diesem Zimmer auch keine Chance, dieser verfluchten Rache zu entgehen.
»Was sollen wir tun?«, flüsterte Sandra. »Hat du keine Idee?«
»Doch!«
»Dann sag sie bitte!«
»Ich gehe jetzt!«
»Und dann?«
»Muss sie mich verfolgen. Vielleicht hast du dann eine Chance und kannst fliehen.«
»Wo soll ich denn hin?«
»Renn einfach weg!«
»Das schaffe ich nicht.«
Beide schauten sich an, und Sandra sah, dass ihr Mann nickte und wie ernst es ihm dabei war.
»Das
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