1524 - Die Uhren von Wanderer
Loge eines Theaters auf die dort abrollenden Aktivitäten hinabblicken konnten. Und es wurde, in der Tat, viel geboten, auf dieser Bühne des Lebens, wo Wanderschausteller ihre Kunststücke zeigten und begnadete Darsteller sich bei der Aufführung tiefsinniger Dramen exhibitionierten.
Als Kranesh einige Tage später bei ihnen zu Gast war, führte gerade eine Tanzgruppe Fruchtbarkeitstänze der Wilden in „Originalkostümen" auf. Demaro glaubte, daß es sich um Arkolianer handelte, die diese Tänze einstudiert hatten, doch Kranesh belehrte ihn eines Besseren. „Das sind echte, aus ihrer Ursprungswelt importierte Wilde", klärte der Freund ihn auf. „So tanzen und so leben sie immer noch. Sie werden für solche Gastspiele eingefangen, durch Drogen enthemmt - und nach absolvierter Tournee wieder in ihre Welt entlassen. Wir neigen ein wenig zur Dekadenz, mein Lieber. Aber wir haben noch eine glorreiche Zukunft vor uns."
Demaro war auf eigenartige Weise von den Tänzen der Primitiven berührt. Er verspürte sogar einen leisen Drang, sich von seinen Kleidern zu befreien, zu ihnen in die Arena zu steigen und es ihnen gleichzutun.
Kranesh schien dies nicht zu entgehen, denn er fragte: „Weckt der Anblick dieser Tänzer irgendwelche Erinnerungen in dir, Demaro?"
Demaro schreckte hoch - er fühlte sich ertappt. „Ich finde die Darbietungen abstoßend", behauptete er, und dann fügte er, ohne es eigentlich zu wollen, hinzu: „Ich möchte nicht tanzen, ich möchte fliegen."
Kranesh und Ankili lachten; sie dachten wohl, er habe einen Scherz machen wollen. Und Kranesh sagte: „Eines Tages werden wir das alles. Aber nicht nur fliegen wie die Vögel, sondern durchs All reisen wie die Sonnen des Himmels. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich spreche. Es gibt Welten der Zukunft, in denen die Raumfahrt bereits zum Alltag gehört."
Manchmal irritierte es Demaro immer noch, wenn Kranesh von der Zeit als beständigen Zustand sprach, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig abliefen. Für ihn war es in gewissen Bereichen nur schwer vorstellbar, daß das Gestern gleichzeitig mit dem Morgen Bestand haben sollte. „Mir würde es genügen, den Vogelflug zu beherrschen", sagte Demaro nur. Er wußte nicht, wieso und woher er diese Sehnsucht hätte, sie war einfach tief in ihm verwurzelt. „Ich kenne jemanden, der hat es zum Sport gemacht, wie die Vögel zu fliegen", sagte Kranesh da. „Er ist ein alter Spinner namens Nargose, ein ewig Gestriger, der den Wechsel in die neue Zeit nicht geschafft hat."
„Ich möchte ihn kennenlernen."
*
Nargose lebte weit außerhalb der Stadt auf dem Plateau einer einzelnen Felserhebung, die turmhoch mitten aus der Ebene ragte. Dorthin führte keine Gondelbahn, sondern man gelangte zu dieser Felsenfestung nur, wenn man sich entweder eines Windrades oder eines der alten Vehikel mit Verbrennungsmotor bediente.
Demaro und Kranesh hatten sich für ein zweisitziges Windmobil mit dreimannslangen Windflügeln entschieden - ein wahres Monstrum von Gefährt, das jedoch ein angenehmes Reisegefühl vermittelte.
Zur Plattform der Felsnadel, auf der Nargose lebte, gelangte man nur mittels einer Seilbahn. Man mußte unten eine primitive Klingel betätigen, dann in den bereitstehenden Korb steigen und darauf warten, daß Nargose den Korb kraft eines Elektromotors hochhievte.
Auch das hatte Demaro während seiner Schulung Schwierigkeiten bereitet: zu akzeptieren, daß es so viele unterschiedliche Antriebsarten und - kräfte für das Betreiben von Maschinen gab. Anfangs hatte er alles durcheinandergebracht und sich immer in primitive Vergleiche flüchten müssen. „Dieser Motor hat eine Leistung, die der von 75 Zugtieren gleichzusetzen ist ..." Obwohl der Motor nur ein Drittel so groß war wie ein Zugtier. Oder: „Mit diesem Windrad erreichst du eine Geschwindigkeit, für die fünf Zugtiere nötig wären ..." In diesem Fall mußte man die Geschwindigkeit, die ein Zugtier erreichen konnte, verfünffachen.
Das hatte seine besonderen Tücken, da die Vergleiche zu abstrakt wurden, wenn es etwa darum ging, die Leistung einer Hochbahngondel, die 500 Menschen gleichzeitig mit einer gewissen Geschwindigkeit befördern konnte, auf diese Weise darzustellen. Es war nur schwer vorstellbar, 1000 Zugtiere vor eine solche Gondel zu spannen. „Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, in der das Nebeneinander der verschiedensten Strömungen schließlich in eine münden wird, die sich danach allerdings
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