1535 - Der Satan von Soho
auch ein anderer, denke ich mir. Du hast etwas Geheimnisvolles an dir.«
Ich lachte. »Wie kommst du darauf?«
»Gefühl. Du bist anders als die Menschen hier. Als hättest du viel mehr Wissen in deinem Kopf.«
»Das mag sein. Vielleicht habe ich es sogar. Aber das ist jetzt nicht so wichtig.«
Ich hatte bei der Unterhaltung die Umgebung nicht aus den Augen gelassen. Für mich war der Pier wichtig, auf dem einsam und verlassen die leere Karre stand, die allerdings bald gefüllt werden musste, ich wunderte mich nur, dass die Morgan-Brüder sie nicht näher an das Ziel herangeschoben hatten. Möglicherweise war die Ladung, die sie zu schleppen hatten, doch nicht so schwer.
Dann tauchten sie wieder auf. Das ging alles sehr schnell. In der Dunkelheit zeichneten sie sich zunächst nur als schattenähnliche Gestalten ab, doch wenige Sekunden später sahen wir sie besser.
Neben mir stieß Rowan einen leisen Stöhnlaut aus, bevor er seinen Kommentar gab.
»Die haben es geschafft.«
Das hatte ich auch schon erkannt. Es lag an der Haltung der beiden Männer. Sie gingen leicht zur Seite geneigt, denn auf ihren Schultern lagen die beiden Kisten, die sie geholt hatten. Um sie abzutransportieren, hätten sie nicht die hohe Karre mit den beiden Rädern gebraucht. Wahrscheinlich waren sie mit ihrem Beutezug noch nicht fertig und würden noch woanders anhalten, um weitere Beute zu holen.
Auf dem Kahn hatten wir eine gute Beobachterposition eingenommen.
Wir liefen nicht Gefahr, von den Männern entdeckt zu werden. Die Morgan-Brüder hatten etwas anderes zu tun. Sie waren guter Laune, unterhielten sich und sprachen von dem guten Geld, das sie bald kassieren würden.
»Wohin verkaufen sie das Opium?«, fragte ich.
»Sie verkaufen es nicht. Sie sind nur die Mittelsmänner. Sie schaffen die Beute an ihren Platz. Wo der ist, weiß ich nicht, aber es gibt hier im Hafen genug Opiumhöhlen.«
»Bei den Chinesen?«
»Auch das.«
Davon hatte ich auch in meiner Zeit gehört. Was in der Gegenwart das Kokain war, das war in der Vergangenheit das Opium gewesen.
Rauschmittel Nummer eins, aus Asien nach Europa geschafft.
Die Brüder hatten den Karren erreicht und luden die Kisten auf. Sie deckten sie mit einer dunklen Plane zu, aber ihre Form konnte man immer noch erkennen.
»Die sind noch nicht fertig!«, flüsterte mir Rowan zu. »Die haben noch was vor. Schließlich ist die Ladefläche der Karre groß genug.«
»Noch mehr Opium?«
»Nein, andere Dinge, die geschmuggelt werden. Elfenbein zum Beispiel. Es gibt hier einige Händler, die dafür viel Geld bezahlen;«
»Stoßzähne?«
»Ja, von Elefanten.«
»Ist der Handel damit denn verboten?«, fragte ich.
»Das nicht. Aber es liegen hohe Steuern darauf.«
Ich grinste. So viel anders waren die alten Zeiten also auch nicht gewesen.
Die Morgan-Brüder und deren Aktivitäten hatten uns das eigentliche Problem vergessen lassen. Aber wir wurden wieder daran erinnern. Noch befanden wir uns auf dem Schiff, als wir an Land die Bewegung sahen.
Und zwar dort, wo die ersten flachen Lagerhäuser standen. Da wehten plötzlich farbige Bänder durch die Luft und zeichneten Figuren gegen den dunklen Hintergrund.
Auch Rowan hatte es gesehen.
»Was ist das?«, fragte er zischend.
»Samson ist da«, erwiderte ich lakonisch…
***
Ab jetzt wurde es kritisch. Warum sich der Satan von Soho hier zeigte, war mir noch nicht klar. Es konnte sein, dass er sich die Morgan-Brüder als Opfer ausgesucht hatte, aber das musste nicht stimmen, und so warteten wir erst mal ab.
Rowan konnte nicht mehr sprechen. Er wirkte in diesem Moment wie ein Kind, das mit offenem Mund wie erstarrt auf der Stelle stand und nur staunen konnte. Die Morgan-Brüder hatten noch nichts bemerkt. Sie standen neben ihrer Karre und hatten aus ihren Taschen kleine Flaschen hervorgeholt, die sie ansetzten. Dass sie Wasser tranken, glaubte ich nicht. Ich rechnete mehr mit Whisky.
»Wie geht das weiter?«, flüsterte Rowan. »Wenn Samson die beiden sieht, dann…« Plötzlich schien er sich verschluckt zu haben, denn er produzierte die entsprechenden Geräusche, und sein Adamsapfel unter der dünnen Haut an der Kehle fing an zu hüpfen.
»Das gibt es doch nicht!« Er klammerte sich an mir fest. »Der - der - ist nicht allein.«
»Genau.«
Auch ich hatte gesehen, dass neben dem Satan von Soho eine blonde Frau erschienen war. Lucy Martin. Die Person, die ich zurückholen wollte.
»Kennst du die Frau, Rowan?«
Er hob die
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