1539 - In der Eastside
Han-Shui-P’on: Haben später noch weitere Attentatsversuche stattgefunden, und ist der Arkonide Atlan dabei verletzt worden?"
„Er war wohlauf, als ich mit meiner Delegation das Arkon-System verlassen habe", erklärte Han-Shui-P’on. „Gut", sagte Dao-Lin-H’ay und ;Wandte sich an den Terraner. „Willst du hierbleiben und den Bericht weiterverfolgen, Ronald Tekener?"
„Nein. Ich werde dich begleiten."
Die Hohen Frauen schwiegen. Sie waren sicher nicht böse darüber, daß sie die ungebetenen Gäste loswurden.
*
Ronald Tekener folgte Dao-Lin-H’ay in die Vorhalle hinaus. Sie sah sich nach ihm um. Ihre Augen funkelten unternehmungslustig. „Wundere dich über nichts", sagte sie leise. „Und stelle um Himmels willen keine Fragen! Wir müssen uns beeilen. Ich konnte die Sensoren nur für einen begrenzten Zeitraum manipulieren."
Sie ging voran, durch weitläufige Korridore, über Treppen und Rampen, auf kalte, zugige Lichthöfe hinaus und durch stockdunkle Hallen, in denen menschliche Augen nichts mehr zu sehen vermochten und die Kartanin ihn führen mußte.
In einer dieser Hallen ließ Dao-Lin-H’ay die Hand des Terraners plötzlich los. „Wir sind aus dem Kontrollbereich heraus", sagte sie.
Er hörte ein blechernes Scheppern und das Quietschen einer Tür. Dann flammte ein Handscheinwerfer auf.
Die Kartanin ließ den Lichtkegel für einen Augenblick wandern. Tekener sah dicke Rohre und riesige Pumpen, die vor sich hin rosteten.
Sie mußten das Ratsgebäude längst verlassen haben.
Ihr Weg führte sie in einen aus dem Felsen geschlagenen Tunnel. Wasser tropfte von der Decke herab. Die Luft war feucht und hatte einen dumpfen Geruch. „Dieser Gang gehörte früher zum Abwassersystem von Tozinkartan", sagte Dao-Lin-H’ay. „Er wird schon seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt, aber der Gestank ist immer noch vorhanden. Dieser Gestank ist der Grund dafür, daß man hier unten kaum jemals auf einen Kartanin trifft. Selbst die Kinder meiden diese Gänge."
Nach einigen hundert Metern hörte Tekener ein dumpfes Brausen. Es schien direkt aus dem Fels zu kommen.
Dann mündete der Tunnel in einen noch größeren Gang, mindestens zehn Meter hoch und ebenso breit. Kurze Zeit später traten sie ins Freie hinaus. Das Brausen schwoll zu solcher Lautstärke an, daß sie schreien mußten, um sich verständigen zu können.
Sie standen unter einem riesigen Rundbogen, einige Meter über dem Grund einer tiefen, engen Schlucht. Hoch über ihnen war ein schmaler Streifen des Himmels von Kartan zu erkennen - die Wolken hingen so tief herab, daß es schien, als würden sie wie eine kompakte, graue Decke auf den Rändern der schroffen Felswände lasten.
Wasser strömte an den Wänden herab, sprang in Form donnernder Wasserfälle über die Felsen und sammelte sich zu einem Gewirr schäumender Wildbäche, die zwischen großen Felsblöcken dahinschossen. „Wir müssen auf die andere Seite!" schrie Dao-Lin-H’ay. „Du hättest mich ruhig vorher warnen können", schrie Tekener zurück. „Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich meinen SERUN angelegt!"
Aber andererseits war es auf Kartan nicht üblich, daß man im Schutzanzug herumlief. Mit einem SERUN hätte man ihn niemals in die Halle des Rates gelassen.
Dao-Lin-H’ay kletterte bereits auf einen Vorsprung dicht unter dem Rundbogen hinab und sprang mit einem eleganten Satz auf den ersten Felsblock hinüber. „Komm schon!" rief sie zu ihm hinauf. „Ein bißchen Bewegung wird dir guttun!"
Mit derselben Behauptung hatte sie ihn kürzlich zu einem „Spaziergang" auf Lokvorth überredet - unten, im Süden, nahe dem Pol, in einer knochentrockenen Wüste, wo es von Treibsandnestern nur so wimmelte, zwischen pechschwarzen Basaltblöcken die ewig hungrigen Wüstenteufel heulten und kakteenähnliche Gewächse nachts Jagd auf unvorsichtige Touristen machten. „Bewegung!" knurrte er und folgte ihr vorsichtig. „Spaziergänge nach Art der Kartanin! Ich werde dir die Freundschaft aufkündigen, wenn du so etwas noch mal mit mir machst, du verrückte Katze!"
„Was hast du gesagt?"
Sie konnte ihn nicht verstanden haben. Es war schon ein Wunder, daß sie sein Gemurmel bei dem hier herrschenden Getöse überhaupt gehört hatte.
Er sprang zu ihr hinüber und landete auf Händen und Füßen. Das Gestein war eiskalt, naß und glitschig. „Gibt es keinen bequemeren Weg, um ins Stadthaus der Familie H’ar zu kommen?" schrie er ärgerlich. „Das hier ist der einzige Weg,
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