1548 - Orbit im Nichts
Servo. „Wer sind deine Begleiter?"
„Kallia Nedrun und Derivoor Ken, Mitglieder des Projektteams UBI ES", antwortete Myles. „Sie unterstehen deiner Verantwortung?"
„Ja."
„Dann dürft ihr eintreten. Willkommen in diesem Haus!"
Myles Kantor horchte auf. Hatte sich da zuletzt ein spöttischer Unterton in die synthetische Stimme des Pförtnerservos geschlichen?
*
Bohannons Angaben, wo seine Hinterlassenschaft zu finden sei, waren nicht allzu spezifisch gewesen. Aber nach einem Rundgang durch das weit-, läufig angelegte Haus stand fest, daß die Suche sich auf drei Räume konzentrieren müsse: Bohannons Arbeitszimmer, die Bibliothek mit einer Sammlung von Datenträgern, deren Zahl Myles überschlägig auf 100000 schätzte, und den daran anschließenden Computerraum.
Myles verteilte die Aufgaben. Kallia Nedrun kümmerte sich um den Computer, Derivoor Ken übernahm die Bibliothek, und Myles selbst sah sich im Arbeitszimmer um. Dabei handelte es sich um einen weiten, lichten Raum von etwa 60 Quadratmetern Bodenfläche. An Ausstattung war hier alles vorhanden, was ein Hyperphysiker, Fachrichtung Strangeness-Analyse, für seine Arbeiten benötigte. Ein großer Schreibtisch, mit Kommunikationsgeräten und Datenanschlüssen bestückt, bildete den Mittelpunkt des Raumes. Es gab zwei Eingänge: einen vom Hauptkorridor her und einen zweiten, der in eine kleine Anrichtekammer führte, in der Njels Bohannon nach anstrengender Tätigkeit wohl hin und wieder ein Getränk zusammengebraut oder einen Imbiß hergerichtet hatte.
Die dem Haupteingang gegenüberliegende Wand bestand aus einer riesigen Glassittür, durch die der Blick in den hinter dem Haus liegenden Teil des Gartens ging. Die Tür mündete auf eine mit synthetischem Marmor ausgelegte Terrasse, auf der Freizeitmöbel standen. Myles glitt mit dem Kantormobil bis dicht an die gläserne Wand heran und schaute nach draußen. Njels Bohannon hatte zu leben verstanden, das mußte man ihm lassen.
Der Garten wirkte wild. Gebüsch, Haine und Teiche lösten einander in wahlloser Folge ab.
Verschlungene Pfade führten durch das Dickicht. Wer genau hinsah, der merkte, daß die Unordnung gewollt war. Njels Bohannon hatte sich mit voller Absicht eine kleine Privatwildnis geschaffen.
Myles wollte sich abwenden, da glaubte er, am Ufer eines der zum Teil von Seerosen überzogenen Teiche eine hastige Bewegung wahrzunehmen. Er konnte nicht sehen, was sich da bewegte, aber es waren Zweige in Bewegung geraten. Sie beruhigten sich bald wieder, wie es sich gehörte. Der Nachmittag war windstill.
Myles rief nach dem Servo. Die Stimme des dienstbaren syntronischen Geistes meldete sich aus der Nähe des großen Schreibtischs. „Kannst du feststellen, ob sich jemand draußen im Garten aufhält?" fragte Myles. „Jemand? Du meinst, ein Mensch?" versuchte der Servo sich zu vergewissern. „Ja."
„Es ist kein Mensch im Garten", kam die Antwort. Das klang sehr bestimmt. Der Servo schien zu wissen, wovon er sprach. „Die einzigen Personen, die sich auf dem Grundstück aufhalten, sind du und deine beiden Begleiter."
Myles überlegte, ob er sich die Umgebung des Teiches ansehen sollte, an dessen Ufer er die Bewegung gesehen hatte. Vielleicht ließen sich Spuren finden. Aber rasch verwarf er den Gedanken wieder. Er hatte schon genug Zeit vertrödelt, und zweitens war es wahrscheinlich ohnehin nur ein Tier gewesen, das die Zweige zum Schwingen gebracht hatte.
Er ließ die Formenergie-Tentakel des Kantormobils den schweren Sessel beiseite schieben, der vor dem Schreibtisch stand, rückte näher an den Tisch heran und machte es sich auf der Sitzfläche des Mobils so bequem wie möglich. Die Tür zum Korridor stand offen. Irgendwo im Hintergrund des Hauses polterte es. Man hörte Derivoor Ken eine Verwünschung ausstoßen. Myles grinste vor sich hin. Deri war ein ausgezeichneter Theoretiker, aber wo und wann immer er eine praktische Arbeit auszuführen hatte, bei der es mehr auf den Gebrauch der Hände als auf die Aktivität des Gripses ankam, schaute ihm das Unheil über die Schulter. Er war der schlimmste Tolpatsch, den Myles je kennengelernt hatte. Wahrscheinlich war er über ein Möbelstück gestolpert, oder er hatte einen Behälter mit Datenträgern fallen lassen. Die Bibliothek lag, von Bohannons Arbeitszimmer aus gesehen, etwa acht Meter den Gang hinab, und unmittelbar an die Bibliothek anschließend befand sich der Computerraum, in dem Kallia Nedrun sich zur Zeit
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