155 - Briana - Tochter Irlands - Langan, Ruth
gern sprach.
„Das Leben damals war einfach großartig. Diese immense Freiheit, die ich als selbstverständlich ansah. Ich stromerte mit meinen Brüdern und Innis durch die Wälder, lernte zu jagen, angelte mit ihnen. Ich lernte von ihnen sogar, mit Waffen umzugehen.“
Keane hob eine Augenbraue. „Mit Waffen?“, wiederholte er ungläubig.
„Oh ja. Ich war schon fast so geschickt wie sie im Umgang mit Messer und Schwert. Auch Pfeil und Bogen waren mir nicht fremd. Jeder Tag war ein einziges Abenteuer für mich.“
Briana wusste Keanes intensiven Blick nicht einzuschätzen. Also sprach sie schnell weiter. „An Markttagen prüfte und probierte ich die unterschiedlichsten Waren in den Verkaufsständen oder kaufte, zusammen mit meiner Mutter, Spitzen und bunte Bänder.“
„Mögt Ihr mir mehr von ihr erzählen?“
Sekundenlang schaute Briana in die flackernden Kerzen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihre Mutter so klar und deutlich, als hätte sie sie erst vor wenigen Stunden zuletzt gesehen. Die Erinnerung an das geliebte Gesicht war in den Jahren nicht im Geringsten verblichen. „Sie ist hochgewachsen, schlank und wunderschön. Und unbeschreiblich liebevoll und fürsorglich. Obwohl sie in eine sehr reiche Familie hineinheiratete, blieb sie immer bescheiden und vergaß niemals, dass sie ohne eine Mitgift zu den O’Neils gekommen war.“
Briana hielt sekundenlang gedankenverloren inne, bevor sie schließlich weitersprach. „Sie zahlt auf ihre Weise, indem sie sich um die Frauen und Kinder in den Dörfern rund um Ballinarin kümmert. Die Menschen wissen, dass sie sofort kommt, wenn jemand Hilfe benötigt. Sie liebt die Menschen auf und um Ballinarin, als seien sie alle ihre Kinder. In der Tat äußert sie gern ihre Überzeugung, dass wir alle derselben Familie entstammen.“
Keane war wie verzaubert von dem Ausdruck ihrer Augen, während Briana von ihrer Mutter erzählte. So viel Wärme und Liebe sprachen aus jedem ihrer Blicke. „Ihr sprecht von ihr, als ob sie eine Heilige wäre“, bemerkte er leise.
„Oh ja, das ist sie in der Tat. Sie muss es auch sein, um all die Jahre mit meinem Vater ausgehalten zu haben.“
„Von ihm habt Ihr noch gar nichts erzählt …“
Ein Schatten schien über ihr Gesicht zu fliegen. Briana senkte den Kopf. „Gavin O’Neil ist der Lord von Ballinarin. Sein Wort ist Gesetz. Sein Temperament ist unberechenbar. Aber alle, die ihn kennen, werden bestätigen, dass er ein gerechter Mann ist.“
„War es der Wunsch Eures Vaters, dass Ihr ins Kloster geht?“, erkundigte sich Keane leise.
Sie nickte. „Ja, aber wie ich unter der Führung der Mutter Oberin lernte, schickte er mich aus reiner Liebe fort. Es war unabdingbar für meine Erziehung, denn ich war widerspenstig und viel zu stolz und unbeugsam für ein Mädchen.“
Keane wusste ziemlich genau, wovon Briana sprach. Solche Entscheidungen, so nobel auch der Grund dafür gewesen sein mochte, taten weh. Spontan legte er Briana eine Hand auf ihre.
Ruckartig hob sie den Kopf. Ihre Augen wurden unnatürlich groß. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln.
Für Keane war die Berührung gleichermaßen schockierend. Er hatte sie nicht geplant, sondern lediglich sein Mitgefühl zum Ausdruck bringen wollen, in der Hoffnung, Briana damit ein wenig Trost zu vermitteln.
Er wusste, dass die Bediensteten jede seiner und Brianas Bewegungen aufmerksam beobachteten. Deshalb zog er seine Hand zurück und griff nach seinem Weinkelch.
„Ihr habt Euren Wein überhaupt noch nicht angerührt“, fiel ihm auf. „Mögt Ihr keinen Wein?“
„Ach, es ist so lange her, dass ich welchen getrunken habe“, erklärte sie freimütig. „Ich hege die Befürchtung, dass man mich in meine Kammer tragen muss, wenn ich auch nur ein paarmal an diesem Wein nippe.“
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund verursachte diese Vorstellung Keane ein heißes Rauschen in den Adern. Er schaffte es jedoch, völlig ungerührt zu antworten: „Das wäre gewiss keine unangenehme Aufgabe, Mylady.“
Seine Stimme klang eigentümlich dunkel und vibrierte kaum merklich. Überrascht hob Briana den Kopf und sah Keane forschend an. Doch er hatte sich bereits wieder seinem Essen zugewandt.
„Ihr habt mir noch gar nichts von Euch und Eurem Leben erzählt. Ich weiß lediglich, dass Ihr im Ausland unterrichtet wurdet und studiert habt.“ Nun hob sie erstmals ihren Kelch mit Wein an die Lippen. „Wo seid Ihr überall gewesen?“
„Einige Jahre in Paris, ein
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