155 - Briana - Tochter Irlands - Langan, Ruth
höflich.
„In der Tat.“ Keane nahm einen Becher mit Ale entgegen und trank mit großen Schlucken, denn er war von dem langen Heimritt durstig geworden. „Dabei dauerten die meisten Treffen mit den Dorfältesten nur kurz, nachdem ich sie darüber informiert hatte, dass ich nicht die geringste Absicht habe, mein gutes Geld sinnlos zu vergeuden.“
„Die Leute wollen Geld, Mylord?“
„Ja, um damit Waffen für den Kampf gegen die Engländer zu kaufen. Ich habe ihnen aber gesagt, dass es in ganz Irland nicht genug Geld gibt, um die Engländer zu besiegen und für immer aus diesem Land zu vertreiben.“
„Das habt Ihr den Menschen gesagt?“
Keane nickte. „Aber die Treffen in den letzten ein oder zwei Tagen verliefen sehr viel besser. Das lag wahrscheinlich daran, dass mir einfiel, den Dorfältesten zu danken für die gute Arbeit, die sie während meiner Abwesenheit auf den Feldern geleistet haben.“
Jetzt drehte sich Vinson, der am Kamin mit Holzscheiten hantiert hatte, zu seinem Herrn um. „Das habt Ihr ihnen gesagt, Mylord?“
Keane musste über den Ausdruck von Stolz in den Zügen des alten Mannes lächeln. Vinson war sein erster Lehrmeister gewesen und manchmal sogar, wenn die Einsamkeit für den kleinen Jungen einfach zu groß wurde, auch sein einziger Freund. „Allerdings“, bestätigte er und fügte nach kurzer Überlegung hinzu: „Früher wäre ich wohl kaum auf so eine Idee gekommen. Aber seit Briana O’Neil in mein Haus kam, wurde ich mehrmals daran erinnert, wie glücklich ich mich schätzen kann, all das hier zu besitzen. Ich finde ihre bescheidene, dankbare Art herzerfrischend. Du nicht, Vinson?“
„Oh ja, Mylord, herzerfrischend, in der Tat.“
„Was hat sie während meiner Abwesenheit gemacht?“
„Es freut Euch sicher zu hören, dass sie mit jedem Tag kräftiger wird. Sie bewältigt die Stufen ohne Hilfe und bewegt sich scheinbar mühelos durch die Säle und Räumlichkeiten. Mehrmals wurde sie beobachtet, wie sie auf der Suche nach Cora oder einem der anderen Dienstmädchen laut rufend durch verschiedene Gemächer eilte.“
„Ist bei ihrem Appetit ebenfalls eine Besserung bemerkbar geworden?“, wollte Keane wissen.
„Es sieht ganz danach aus, Mylord. Seit kurzem hat sie es sich sogar zur Gewohnheit gemacht, ihr Mittagsmahl unten in der Küche, zusammen mit den Bediensteten, einzunehmen.“
„In der Küche? Warum denn das?“
„Ich weiß es nicht“, gab Vinson zu. „Ich glaube, sie fühlt sich einfach wohl in der Gesellschaft anderer Menschen.“
Keane nahm einen Schluck von seinem Ale. „Und wie haben die Bediensteten reagiert? Fühlten sie sich unwohl in ihrer Gegenwart?“
„Unwohl?“, wiederholte der Butler. „Nein, ganz im Gegenteil. Jeder genießt die Gesellschaft des Mädchens. Lady Briana ist ein bezauberndes Geschöpf.“
Bezaubernd ist die perfekte Beschreibung, dachte Keane. Seine Neugierde war noch nicht vollständig befriedigt. „Und du, Vinson, nimmst du auch an den gemeinsamen Mittagessen teil?“
„Ja, Mylord. Ich hörte eines Tages das fröhliche Gelächter aus der Küche und beschloss, ebenfalls dort unten zu speisen. Und daraus ist jetzt schon fast so etwas wie eine Gewohnheit für mich geworden.“
„Und was hat unser Gast sonst noch getan, während ich fort war?“
„Sie nahm Kontakt zu Fleming, unserem Gärtner, auf. Sie muss ihn total um den Finger gewickelt haben, denn seit kurzem darf sie an seinen geheiligten Rosen arbeiten, an die er sonst niemanden heranlässt. Außerdem war sie in den Pferdeställen, weil sie reiten wollte. Doch der Stallmeister wollte erst Eure Meinung hören, bevor er der Lady die Erlaubnis gibt.“
„Glaubst du, dass sie kräftig genug ist für einen Ausritt, Vinson?“
„Das ist sehr schwer zu beurteilen. Sie scheint förmlich vor Energie zu bersten. Doch Mistress Malloy besteht darauf, dass sie jeden Nachmittag ausgiebig ruht. Wir alle hielten es für das Beste, Eure Rückkehr abzuwarten, damit Ihr entscheidet, was unserem Mädchen guttut und was nicht.“
Keane fiel die Wendung „unserem Mädchen“ auf, und er fragte sich, wann aus dem fremden Gast wohl ein fester Bestandteil des Haushalts geworden war. „Wo ist sie denn jetzt?“, erkundigte er sich.
„Als ich sie zuletzt sah, ging sie gerade die Treppen hinauf. Wahrscheinlich will sie ein Bad nehmen nach einem anstrengenden Tag. Sie ist zwar voller Energie, aber manchmal scheint es mir, als habe sie sich körperlich noch längst nicht
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