155 - Briana - Tochter Irlands - Langan, Ruth
in ihrem Alter waren inzwischen wohl längst verheiratet und nannten bereits Kinder ihr Eigen. Im krassen Gegensatz dazu hatte Briana praktisch keine Gelegenheit gehabt, ihre Jugend unbeschwert zu genießen, zu tanzen, zu schäkern und insgesamt das Wesen des Frauseins kennenzulernen, geschweige denn irgendwelche Erfahrungen zu sammeln.
Obwohl man Briana in der Heimat wie eine erwachsene Frau behandeln würde, war sie doch im Grunde ihres Herzens immer noch das naive Mädchen von fünfzehn Jahren, als das sie in das Schweigen hinter den Mauern eingebrochen und das gesamte Kloster mit Chaos und Leidenschaft erfüllt hatte.
Die Mutter Oberin hob eine Hand, und Briana neigte den Kopf, um sich segnen zu lassen. „Bis wir uns wiedersehen, liebes Kind, möge Gott über dich wachen und dich sicher in seinen Händen halten.“
„Euch auch, Mutter Oberin.“ Briana wandte sich hastig ab und ließ sich in den Sattel ihres Pferdes helfen. Als sie zum Hof hinausgaloppierte, drehte sie sich noch einmal um. Sie wollte einen letzten Blick auf das Kloster von St. Claire werfen und die Oberin, die reglos vor dem Eingang stand, die Hände wie gewohnt in den Ärmeln ihrer weiten Robe verborgen.
Briana wandte den Kopf und starrte geradeaus in Richtung Osten, wo ein erster schwacher Lichtschein den heraufziehenden Tag ankündigte. Da hinten irgendwo lag Ballinarin! Ihr Herz klopfte stürmisch vor unbändiger Freude. Endlich würde sie nach Hause zurückkehren!
„Ein Dorf, Mylady“, erklärte der Anführer der kleinen Gruppe, als Briana ihr Pferd neben seines lenkte. „Es wäre weise, dort noch vor Einbruch der Nacht Schutz zu suchen.“
„Aber ich fühle mich überhaupt noch nicht erschöpft oder müde“, widersprach sie. „Ich könnte noch stundenlang reiten.“ Jede weitere Stunde auf dem Pferderücken würde sie dem Ziel näher bringen.
„Ihr wart lange fort, Mylady.“ Der junge Bursche bemühte sich um einen neutralen Tonfall, doch Briana hörte einen Anflug leiser Überheblichkeit aus seiner Stimme heraus. „Heutzutage wimmelt es in unserem Land von englischen Soldaten. Kein Mensch ist nach Einbruch der Dämmerung sicher vor ihnen.“
Briana lag eine heftige Entgegnung auf der Zunge. Schließlich war sie eine O’Neil und hatte daher das Recht, Entscheidungen über den Reiseverlauf selber zu treffen. Doch obwohl es ihr sehr schwerfiel, gestand sie sich ein, dass der Bursche recht hatte. Er war lediglich besorgt um ihre Sicherheit. Briana war jahrelang dermaßen von allem Weltlichen abgeschirmt worden, dass sie die jetzt womöglich lauernden Gefahren nicht einmal ansatzweise abschätzen konnte.
Widerstrebend nickte sie. „Nun gut, suchen wir uns eben ein Wirtshaus, in dem wir übernachten können, und reiten dann in aller Frühe weiter.“
Vor ihnen erstreckte sich in einer Senke fruchtbares Weideland. Schafherden weideten dort, und Bauern gingen ihrem Tagewerk nach. Fröhliches Lachen und Wortfetzen drangen an Brianas Ohr, und sie lächelte vor sich hin. Das war es, was sie so schmerzlich vermisst hatte in den Jahren ihrer Verbannung. Selbst bei der Arbeit auf den Feldern war es den Schwestern und Novizinnen des Klosters verboten gewesen, ihr Schweigen zu brechen.
Die Gruppe hatte ungefähr die Hälfte der Ebene durchquert, als Briana das Geräusch donnernder Pferdehufe vernahm. Zunächst wusste sie nicht, was sie davon halten sollte, doch dann sah sie, wie der Bursche vor ihr sein Schwert aus der Scheide zog, und folgte seinem Blick.
Eine Horde englischer Soldaten, vielleicht fünfzig oder noch mehr, preschte aus einem nahe gelegenen Wäldchen heran. In jäh aufschießender Panik erkannte Briana, dass sie und ihre Begleiter den Engländern schutzlos ausgeliefert waren. Es gab weit und breit nichts, wo sie hätten Unterschlupf finden oder sich verbergen können.
Der Anführer von Brianas Eskorte, ein großer, muskulöser Bursche von vielleicht sechzehn Jahren, rief seine Anordnungen. „Zum Dorf! Los jetzt, macht schnell! Es ist unsere einzige Hoffnung!“
Die kleine Reisegruppe trieb die Pferde in einen schnellen Galopp. Im Davonpreschen warf Briana einen Blick zurück und sah, dass die Bauern, vollkommen überrascht von dem Angriff der Engländer, diesen wehrlos ausgeliefert waren. Einer nach dem anderen fiel, getroffen von den gewaltigen Schwerthieben der Angreifer, zu Boden.
Die Luft war plötzlich erfüllt von lautem Rufen, den Schmerzensschreien der tödlich Verwundeten und dem lauten Kreischen und
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