155 - Die toten Augen von St. Lamberti
Lettaus Taschenlampe, wie Dorian von einer unsichtbaren Kraft in das Loch zwischen den geborstenen Steinplatten hinabgesogen wurde.
Die Ausstrahlung des mächtigen Dämons, der schon in Ludwig Wolfs Haus versucht hatte, den Dämonenkiller in seine Gewalt zu bringen, fiel sie an wie ein wildes Tier.
Sie mobilisierte all ihre Abwehrkräfte. Es kostete sie ungeheure Anstrengung, auf die geborstenen Steinplatten zuzugehen. Sie wollte sich in den schnelleren Zeitablauf versetzen, doch sie spürte, daß es ihr nur unzulänglich gelang.
Wie in Zeitlupe hoben sich die geborstenen Steinplatten wieder an.
Bläuliche Flammen zuckten zwischen den Spalten hervor. Das Licht dieser Flammen schien Coco zu verbrennen.
Sie gab ihr Bemühen, die Zeit zu manipulieren, auf. Die Beine gaben unter ihr nach. Sie tastete über die Steinplatten des Bodens, doch es gab kein Loch mehr.
„Satanas, entfleuche!" schrie der Vikar hinter ihr.
Der Lichtfinger der Taschenlampe tanzte wie verrückt über die Quaderwände der Krypta. Coco sah nicht, wie Kommissar Krombach Lettau die Taschenlampe aus der Hand riß.
Hans Lettau flüchtete die Steintreppe hinauf.
Krombach war neben Coco. Er faßte nach ihrem Arm und fragte keuchend: „Was war das, Frau Jäger?"
Cocos Knie zitterten immer noch.
Sie erwiderte nichts auf die Frage des Kommissars. Was hätte sie ihm auch sagen sollen?
Sie wußte, daß Dorian sich jetzt in der Gewalt eines mächtigen Dämons befand. Der Ghoul Bernd Roth hatte ihn nur in diese Falle gelockt.
Coco starrte auf die Steinplatten zu ihren Füßen. Deutlich waren darin noch die Sprünge zu erkennen. Die schmerzhafte Ausstrahlung des Dämons wurde schwächer.
Coco wußte, daß sie Dorian nicht mehr helfen konnte. Sie war sehr erschöpft. Nur der Gedanke daran, daß der Dämon Dorian offenbar nicht auf der Stelle töten wollte, beruhigte sie etwas. Denn dazu hatte er die Gelegenheit schon in Ludwig Wolfs Haus gehabt.
Sie dachte an Don Chapman.
In drei Stunden würde der Puppenmann von Castillo Basajaun zurückkehren. Sie wollte auf ihn warten, um dann mit den Waffen, die Don mitbrachte, zu versuchen, Dorian aus den Klauen des Dämons zu befreien.
Sie dachte nicht mehr an die Schattenfrau. In ihrem Kopf war nur noch Platz für Dorian. Wenn der Dämonenkiller starb, hatte der Fürst der Finsternis eine entscheidende Schlacht gewonnen, und Coco war sich klar darüber, daß sie selbst dann auch nicht mehr lange leben würde.
„Das gibt es nicht", murmelte Olaf Leskien. Er drehte seine Baskenmütze in den Händen und betrachtete die Risse in den Steinplatten, die immer feiner wurden, bis sie kaum noch zu erkennen waren.
„Es gibt mehr, als sich die meisten Menschen träumen lassen", sagte Coco tonlos.
„Das ist Teufelswerk!" stieß Krombach hervor. „Dieser ganze verdammte Fall geht mir allmählich auf den Geist. Ist Ihr Mann eine Art Magier, der uns hier etwas vorgegaukelt hat?"
Coco antwortete ihm nicht. Sie ging auf die Steintreppe zu.
„He, warten Sie!" sagte Krombach heiser. „Ich benötige Ihre Aussage! Wir müssen zu Protokoll nehmen, was mit Ihrem Mann… "
Coco hypnotisierte Krombach und seinen Assistenten und nahm ihnen die Erinnerung an das Geschehen hier unten in der Krypta. Dann stieg sie hinter ihnen her in die Sakristei hinauf, wo der zitternde Hans Lettau vor einem Kruzifix kniete und inbrünstig betete.
Coco nahm auch ihm die Erinnerung an die letzte halbe Stunde.
Sie verließ die Sakristei, ohne daß Kommissar Krombach sie aufhielt.
Im Schatten der Kirche ging sie auf den Kirchplatz zu. Sie sah die quadratische Absperrung neben dem Brunnen. Die geborstenen Platten waren wieder ganz. Nichts war mehr davon zu erkennen, daß sich hier in der vergangenen Nacht der Boden aufgetan und ein Wesen der Hölle ausgespien hatte. Coco schloß die Augen.
Sie war überzeugt davon, daß Dorian irgendwo unter ihr in der Erde war. Hier mußte es Gänge und Höhlen des Ghouls Bernd Roth geben. Wenn er mit jenem Wiedertäufer Bernhard Rothmann identisch war, hatte er damals im sechzehnten Jahrhundert schon hier unter dem ehemaligen Friedhof als Leichenfresser gehaust.
Coco ging zum Prinzipalmarkt hinüber.
Sie sah Licht in einer kleinen Gaststätte und ging hinein, um einen starken Kaffee zu trinken. Es waren noch mehr als zwei Stunden, bis Don Chapman zurückkam.
Benommenheit war in Dorian Hunters Kopf. Er glitt aus, als er sich erheben wollte. Verwesungsgestank drang ihm in die Nase. Sein Magen wollte
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