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155 - Kriminalfall Kaprun

155 - Kriminalfall Kaprun

Titel: 155 - Kriminalfall Kaprun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uhl Hannes
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in der sie ein halbes Jahr zuvor schreckliche Stunden der Ungewissheit und Trauer erleben mussten. Sie haben 155 Holzkreuze und ebenso viele Kerzen mit, die sie jetzt in den Grünstreifen der Mühlfeldstraße schlagen, die hier neben der Kapruner Ache zum Kitzsteinhorn führt. Ein Kreuz und eine Kerze für jedes der Opfer, im Hintergrund in rund sieben Kilometer Entfernung das Kitzsteinhorn.
    Gegenüber Journalisten fordern die Angehörigen lückenlose Aufklärung und den Rücktritt der Gletscherbahndirektoren.
    »Es darf nicht sein, dass ein halbes Jahr danach alles vergessen scheint«, sagt Johannes Stieldorf, Vater von Matthäus, dessen Sohn mit seinen vier Freunden im Tunnel auf so schreckliche Weise sterben musste. Niemand gehe aktiv auf sie zu, weder die Behörden noch die Gletscherbahnen AG, beklagt er. In einem Fragenkatalog der Wiener und Vilsecker Gruppe heißt es außerdem: »In einer Situation, in der die Angehörigen darauf warten, dass die Täter bestraft werden, versucht das Management der Gletscherbahnen Kaprun AG aus seiner Rolle als Verantwortliche für das Unglück in die Rolle des neutralen Dritten überzuwechseln.«
    Im Ort wird die Gedenkaktion mit Argwohn verfolgt. Die Kreuze wurden ohne Genehmigung oder Rücksprache aufgestellt, und jetzt säumen sie unübersehbar die Straße zur Gletscherbahn.
    »Ich sehe nicht ein, dass jemand ungefragt für meinen Mann ein Kreuz aufstellt«, wird eine Witwe in einem Zeitungsbericht zitiert.
    Drei Tage später sind die 155 Kreuze wieder weg. Ein Kapruner hat sie in einer Nacht- und Nebel-Aktion mit dem Auto umgefahren. Er könne die ständige Erinnerung an die Katastrophe nicht mehr ertragen, hat der Mann bei der Gendarmerie angegeben. Er soll ein »naher Verwandter« eines Kapruner Elternpaares sein, das ein Kind im Tunnel verloren hat, auch das gibt die Gendarmerie bekannt. In Kaprun soll wieder Ruhe einkehren, so der Tenor unter den Einheimischen. Zumindest für die nächsten sechs Monate, bis der Jahrestag ansteht.

Kapitel 23
    Am 3. August 2001 schließt der vom Salzburger Landesgericht bestellte Hauptgutachter Anton Muhr sein Gutachten ab. Er will nicht länger auf weitere Unterlagen oder Untersuchungsberichte der Wiener Kriminaltechnischen Zentralstelle warten, deren Mitarbeiter die Zusammenarbeit mit dem gerichtlich bestellten Sachverständigen von Anfang an boykottiert haben.
    Der Praktiker Muhr hat alle realistisch erscheinenden Ursachen für eine Entstehung des Brandes in der Gletscherbahn akribisch erforscht. Er ist sich seiner Sache sicher, als er der Untersuchungsrichterin und der Staatsanwältin sein 75-seitiges Gutachten übergibt, in dem er die Ursachen beschreibt, die zum Brand im Zug »Kitzsteingams« der Gletscherbahn geführt haben.
    Sein umfangreiches und mit Fotos, Grafiken und Testergebnissen unterlegtes Gutachten ist schlüssig und eindeutig. »Die Montagelagen der Kunststoffmessleitungen stellen in Zusammenhang mit dem hier montierten elektrischen Heizlüfter als Zündquelle ein großes Brandrisiko dar.« Zudem stellt Muhr fest, dass der Heizlüfter demontiert und teilzerlegt wurde, um ihn in eine Zwischenwand einzubauen. Er weist Ölspuren im Bereich des Heizlüfters nach.
    Muhr schreibt unter anderem in seinem Gutachten: »Das Öl ist auf der Rückseite des Heizlüfters, im oberen Bereich des Lufteintrittsgitters eingetreten, durch den Heizlüfter gelaufen und hat sich bedingt durch die im Betrieb entstehende Luftbewegung im gesamten Heizlüfter verteilt.« Hinzu kam, dass sich die Fahrer derGletscherbahn in ihrem Fahrstand gegen kalten Luftzug aus dem Tunnel schützten, indem sie neben dem Bedienpult zusätzliche Holzbretter einbauten, deren Ritzen sie mit Mineralwolle stopften. Die Wolle nahm das herabgeflossene Öl auf und der Heizlüfter sog die mit Öl getränkten Fussel zusammen mit anderen Schmutzpartikeln ein. Die Anbringung des Heizlüfters in unmittelbarer Nähe tropfender Ölleitungen beschreibt Muhr als »tickende Zeitbombe«, die jederzeit explodieren konnte.
    Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat liest das Gutachten und betrachtet die Abbildungen. Immer wieder schaut sie in die umfangreiche Stellungnahme und kann nicht fassen, dass 155 Menschen sterben mussten, weil Arbeiter beim Bau der Gletscherbahn derart fahrlässig vorgegangen sind.
    Wie ist so etwas möglich, fragt sich die Staatsanwältin angesichts des Muhr-Gutachtens. Für Millionensummen erfolgt die Bohrung eines Tunnels, der Bau einer langen Rampe, die

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