155 - Kriminalfall Kaprun
zugelassenen und ungeeigneten Heizkörpers im Führerstand der Bahn sowie für die unsachgemäße Verlegung der Hydraulikleitungen in zu geringem Abstand zum Heizkörper verantwortlich. Erst durch ihre Fehler, so die Anklageschrift, konnte sich austropfendes Hydrauliköl entzünden.
Fünf leitende Mitarbeiter der Überprüfungsorgane, drei vom Verkehrsministerium und zwei vom Technischen Überwachungsverein ( TÜV ), erhalten ebenfalls eine Anklage. Ihnen wirft die Staatsanwältin vor, Begutachtungen nur unzureichend durchgeführt zu haben, sodass ihnen die Gefährlichkeit der Konstruktion nicht auffiel. Auch wurden Betriebsbewilligungen unter Außerachtlassung der Sicherheit und des Standes der technischen Entwicklung auf Basis unzureichender Unterlagen erteilt.
Abschließend klagt die Staatsanwältin noch drei weitere Personen wegen fahrlässiger Gemeingefährdung an, weil sie in der Bergstation, dem Alpincenter, die Verriegelung der automatischen Brandschutztür deaktiviert hatten. Auf der Flucht hatte der Betriebsleiter der Gletscherbahn die Brandschutztür aufgedrückt, die sich danach nicht mehr schloss. Drei Menschen im Alpincenter starben deshalb durch die toxischen Gase der aus dem Tunnel strömenden Rauchwolke. Dabei war es noch sehr früh an dem Tag, als die Katastrophe ihren Lauf nahm. Hätten die Rauch- und Giftgase die Bergstation mit ihren Restaurants zur vollbesetzten Mittagszeit erreicht, wären vermutlich mehr als tausend Menschen gefährdet gewesen und weitere Hunderte gestorben.
Kapitel 24
Als am 11. November 2000 die Katastrophe von Kaprun bekannt wird, sorgt diese Nachricht bei den Beamten der Obersten Eisenbahnbehörde in Wien, der die Oberste Seilbahnbehörde untergeordnet ist, für Aufregung. Sofort ist allen klar, dass es mit der Ruhe nun erst einmal vorbei sein wird. Die Medien werden Schuldige suchen, bestimmt auch im Verkehrsministerium.
Erste Berichte von Überlebenden der Katastrophe bringen die Verkehrsbehörde gemeinsam mit der Gletscherbahn weiter unter Druck. Die Aussagen bestätigen, dass es in der Gletscherbahn keine Alarmierungsmöglichkeit und keine Feuerlöscher gab, dass die Zugtüren sich nicht öffnen ließen und Nothämmer fehlten.
Eine Herausforderung ist das zweifellos auch für den Leiter der Obersten Seilbahnbehörde, Ministerialrat Dr. Horst Kühschelm 3 . Für die Gletscherbahn war Brandschutz nicht vorgesehen, es gab auch kein Löschsystem. Darüber hinaus gab es weder Feuerlöscher oder Nothämmer in den Passagierabteilen noch eine Kommunikationsmöglichkeit der Passagiere mit dem Zugführer. Das »Rettungssystem« bestand lediglich aus der Anweisung, bei Vorkommnissen in der oberen Tunnelhälfte den Zug nach oben zu fahren, bei Vorkommnissen in der unteren Hälfte hingegen die Talstation anzusteuern. Selbst diese Anweisung ist wegen des Bremssystems problematisch. Bei Druckabfall in der Hydraulik stoppte der Zug, automatisch fuhren die Bremszangen aus und krallten sich im Gleis fest, damit der Zug nicht abstürzen konnte.
Kühschelm hat am 13. Juli 1993 im Auftrag des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung für die Gletscherbahn Kaprun 2 persönlich erteilt. Der Jurist, der an der Uni Wien Rechts- und Staatswissenschaften studierte und 1968 promovierte, trat 1970 in den höheren Ministerialdienst beim Verkehrsministerium ein. 1993 wurde er Chef der Obersten Seilbahnbehörde.
Am Tag nach der Katastrophe fährt Kühschelm nach Kaprun und sucht den Kontakt zum ORF . Vor der Talstation gibt er ein professionelles Interview, das sogleich auf Sendung geht und zwei Botschaften enthält. Die Gletscherbahn erfülle alle geltenden Sicherheitsstandards und Sicherheitsnormen. Und Österreich sei im Bereich der Seilbahnsicherheit weltweit führend. Die Nachricht wird auch von anderen deutschsprachigen Sendern übernommen. Kritik an dieser Aussage gibt es nicht, und es fragt auch niemand, warum es trotz dieser Sicherheit zu einer Katastrophe mit 155 Toten kommen konnte.
Am Tag nach der Katastrophe sagt Kühschelm gegenüber Journalisten, dass die Türen im oberen Bereich des Zuges geöffnet waren. Das erregt Misstrauen, weil der Zug bis auf das Fahrwerk abgebranntist, wie jeder weiß. »Nein, wir haben nichts gesehen«, korrigiert Kühschelm später. Ein Fehler, der in so einer Situation wohl passieren kann.
Im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie gibt es gerade in den Tagen der
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