155 - Kriminalfall Kaprun
Zugführer nicht, er weiß nur, dass bei ihm kein Problem feststellbar ist. Hydraulikdruck im vorgesehenen Bereich, alle Signale auf Grün.
»Was ist los?«, gibt Schwabl in den Maschinenraum durch.
»Der Puffer«, hört er den Maschinisten sagen, »automatischer Halt.«
»Schon wieder.«
»Wir fahren manuell. Geht gleich weiter.«
»Alles klar.«
Immer wieder kommt es vor, dass die Pufferanlage in der Talstation, die im Notfall den Zug abbremsen sollte, nicht ordnungsgemäß ausfährt, was zu einem automatischen Halt in der Mittelstation führt. Der Maschinist schaltet die Anlage auf »Betriebsart Hand« und startet erneut. Langsam fährt der Zug an, und unter den Passagieren macht sich Erleichterung breit, gemischt mit dem euphorischen Gedanken, gleich die Skier anzuschnallen und endlich loszulegen. Im Sicherheitsmodus, mit 25 statt der normalen 36 Stundenkilometer, wird der Zug weiter nach oben gezogen, und schon bald sieht Zugführer Schwabl das Licht am Ende des Tunnels, die Bergstation.
Kapitel 5
Am Morgen des 11. November 2000 verlässt Eva Danninger-Soriat früh ihr Haus im Salzburger Vorort Aigen. Sie steigt in ihr Auto ein und lenkt es entlang der Salzach in das Zentrum der Landeshauptstadt. Die Morgensonne strahlt und trifft auch auf ihren Rückspiegel, sodass sie geblendet wird und ihn verstellen muss. DerHimmel ist blau. Es dürfte ein wunderbarer, klarer Tag werden, der zum Wandern oder Skifahren einlädt. Doch die Staatsanwältin hat an diesem Samstag Journaldienst und fährt zum Landesgericht in den Stadtteil Nonntal. Das 1909 erbaute Gericht liegt südlich der Altstadt am Rudolfsplatz. Sie fährt auf den Mitarbeiterparkplatz, geht durch den Haupteingang, begrüßt den Portier und erreicht die Räume der Staatsanwaltschaft.
Als sie ihr Dienstzimmer betritt, muss sie sofort handeln. Die bereits wartende Polizei benötigt ihre Unterstützung bei Ermittlungen, und dann sind da noch Eilentscheidungen zu treffen.
Die Entscheidung, Juristin und Staatsanwältin zu werden, hat Danninger-Soriat eigentlich nie bereut. Ihr erster spektakulärer Fall war die »Lucona«-Affäre, die 1983 auf ihrem Schreibtisch gelandet ist. Sehr früh und entschieden forderte sie Untersuchungen wegen Mordverdachts gegen den Demel-Zuckerbäcker Udo Proksch, dessen millionenschwerer Versicherungsbetrug als Händler einer Pseudo-Urananreicherungsanlage zum Tod von sechs Besatzungsmitgliedern des von ihm versenkten Frachters »Lucona« geführt hatte.
Einflussreiche und prominente Mitglieder des »Club 45«, Politiker, Minister und hohe Beamte sollen schützend die Hand über Udo Proksch gehalten haben, so macht es in Wien die Runde. Nicht ohne Grund wurde die Anzeige deshalb in der »Provinz« erstattet. Selbst Wien kann sich nun über den von Eva Danninger-Soriat fundiert begründeten Mordverdacht nicht mehr hinwegsetzen, da hilft Proksch die Bekanntschaft mit den Mitgliedern des legendären »Club 45« auch nichts mehr. Udo Proksch, der Liebling der Wiener Gesellschaft, wurde 1992 wegen sechsfachen Mordes verurteilt.
Doch nun sind ihre Gedanken wieder in der Gegenwart. Entschlossen nimmt Eva Danninger-Soriat die erste Akte vom Stapel, deren Bearbeitung sie sich für heute vorgenommen hat. Sie klappt die Akte auf und konzentriert sich ganz auf den Fall, der vor ihr liegt.
Kapitel 6
Zuerst ist es nur ein Schimmer, dann lassen sich zwei kleine Lichtpunkte ausmachen, und schon schießt die »Kitzsteingams« aus dem Fels, 600 Meter Luftlinie oberhalb der Talstation.
In der Führerkabine sitzt Siegfried Schwabl und blickt hinab auf die Wüstelau, wie der Talschluss hier genannt wird, die seit den 1960er-Jahren die Basisstation zur Erschließung des Kitzsteinhorns ist. Von hier oben wirkt die Talstation wie eine Spielzeuglandschaft. Hunderte parkende Autos und Dutzende, die gerade die letzten Meter Anfahrt hinter sich bringen oder auf der Suche nach einem Abstellplatz langsam ihre Runden drehen. In einem Randbereich stehen Baumaschinen und ein paar ausgediente Beschneiungskanonen.
Es ist schon viel los, so früh am Morgen. An der Kassa und im Zugangsbereich zur Standseilbahn sind Unmengen von Menschen in bunten Skianzügen zu sehen, dazwischen kleine Gruppen in jenem behäbigen Gang, den die klobigen Skischuhe bedingen. Auf einer Bühne, die für das Saison-Opening vor der Standseilbahn aufgestellt wurde, kann Schwabl gerade noch den Moderator erkennen, den Stimmungsmacher für das Skivolk. Wie ein fernes Echo hört er
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