155 - Kriminalfall Kaprun
Mittelstation zu sehen.
Der Brandgeruch ist ihnen schon aufgefallen, doch erst jetzt realisieren sie den Ernst der Lage. Die Flammen in der Führerkabine lodern hoch und sind jetzt selbst für die weiter oben stehenden Fahrgäste sichtbar.
»Wo sind die verdammten Nothämmer?«, schreit jemand, »Wer sieht einen Feuerlöscher?«
Die eingesperrten Menschen beginnen zu schubsen, nach oben zu drängen, weg vom Feuer. Einige Passagiere schreien: »Es brennt! Tut was!« Ein Einheimischer ruft: »Es gibt hier nichts! Es gibt keine Nothämmer!«
Kleine Kinder, die neben Maximilian Steiner stehen, beginnen zu weinen. Immer wieder ruft jemand: »Keine Panik! Bleiben Sie ruhig! Bleiben Sie ruhig!«
Währenddessen versucht ein anderer zuerst mit bloßen Händen, dann mit einem Skistock die Türen aufzubekommen. Vergebens. Der Skistock verbiegt sich und bricht. Die Türen scheinen wie einzementiert. Steiner blickt nach oben, um festzustellen, ob sich dort irgendwo die Türen geöffnet haben. Fehlanzeige. Sie sitzen in der Falle. Vielleicht einen Meter vom Brandherd entfernt, aber ohne die geringste Chance, ihn zu bekämpfen, zu flüchten oder wenigstens Alarm zu schlagen.
Als der Qualm weiter nach oben vordringt, bekommen auch dort die Menschen Atemprobleme und stecken Mund und Nase in ihre Jacken. Der Rauch ist äußerst aggressiv.
»Bleib ruhig, das ist kein Problem«, sagt ein Mann zu seiner Frau, die immer ängstlicher wird. Alle schauen herum, suchen verzweifelt nach Nothämmern oder Feuerlöschern, nach irgendetwas wenigstens, mit dem sie den Brand bekämpfen oder sich befreien können. Sie warten auch darauf, dass jemand kommt und die Türen öffnet. Vergeblich. Jemand ruft: »Wir müssen die Fenster einschlagen!«
Einer aus der Vilsecker Skigruppe, ein Hüne von einem Mann, beginnt mit einem Ski auf die Scheibe einzuschlagen. Weiter unten und oben beginnen die Menschen ebenfalls, mit Skiern auf das widerspenstige Acrylglas einzudreschen.
Die Türen bleiben verschlossen, dabei ist die Führerkabine schon zur Hälfte in Brand, so stark, dass Maximilian Steiner die Hitze durch die Trennwand spürt. Die Menschen drängen sich, so gut es geht, nach oben, weg vom Feuer. Steiner steht nun rund einen halben Meter davon entfernt. Der Rauch wird immer stärker. Und der Brand erzeugt eine bedrohliche Geräuschkulisse.
Mehr als zwei Kilometer weiter oben sitzt der Maschinist im Führerstand vor einem goldbeigen Pult. Hier in der Bergstation hat er den Überblick über die Anlage. Hier befindet sich auch der Antrieb der Standseilbahn. Eine mechanische Anzeige links zeigt ihm den Standort der Züge im Tunnel, visualisiert durch zwei kleine Metalltafeln mit der Aufschrift »Drache 1« und »Gams 2«. Rechts davon, neben dem Mikrofon, leuchtet beim »Zug 2 Gams« der Hinweis »Halt«, die Anzeige beim »Zug 1 Drache« leuchtet nicht. Für ihn ist klar, dass der Halt von der »Kitzsteingams« ausgegangen ist. Warum die riesigen gelb-schwarzen Umlaufräder der Seilbahnanlage zum Stillstand gekommen sind, weiß der Maschinist nicht.
»Warum hast du den Zug angehalten?«, fragt er über die Kommunikationsleitung, die im Inneren des Zug- und Gegenseils verläuft.
»Ich habe den Zug nicht gestoppt«, gibt Schwabl aus dem Tunnel, fast drei Kilometer talwärts, zurück.
»Gibt’s nicht. Ich habe von dir ein ›Halt‹ bekommen. Woher kommt die Störung?«
»Ich weiß es nicht. Ich sage dir, bei mir ist alles im grünen Bereich: Signalanlage okay, Stromversorgung für Türen und Wagen okay, Netzspannung okay, Servodruck okay.«
Der Maschinist schüttelt den Kopf.
Dann meldet sich wieder Zugführer Schwabl aus dem Tunnel. Seine Stimmlage hat sich deutlich verändert. »Der Zug brennt!«
Der Maschinist traut seinen Ohren nicht. »Bist du sicher?«
»Ja. Ganz unten brennt er lichterloh, ich hab’s von der Nottreppe aus gesehen. Der Zug brennt!«
»Mein Gott! Wenn der Zug brennt, musst du schnell die Türen öffnen!«
Es ist ein zähes Unterfangen, die Scheiben zu durchschlagen. Ein Kampf ums nackte Überleben. Zu zweit oder zu dritt versuchen die Eingesperrten mit aller Wucht, die Scheiben zu sprengen. Bis zu zwanzigmal schlagen sie zu, bis sich ein erstes, kleines Loch auftut. Zu ihrem Entsetzen müssen sie feststellen, dass die Fenster doppelwandig ausgeführt sind. Schnell erweitern die Passagiere mit den Händen das erste Loch, um dann mit Vehemenz auf die zweite Scheibe einzudreschen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit,
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