155 - Reiseziel: Mars
ihre Tochter. »Hast du sie nicht mitgebracht?«
»Doch, doch, natürlich. Wie hätte ich sie auch davon abhalten sollen, ihre Mutter zu besuchen?« Vera Akinora lächelte. »Du wirst sie sehen, wenn wir uns das zweite Mal treffen.«
»Das zweite Mal?« Maya runzelte die Stirn. »Was machst du hier, Mutter?«
Vera Akinora lächelte. »Ich dachte mir: Geh nach Elysium und küsse deine Tochter noch einmal, bevor sie wieder zum Mond fliegt.«
»Und warum lässt du dich dann nicht in den Arm nehmen?«
»Heute Abend, mein Kind. Wenn alles vorbei ist.«
»Wenn was vorbei ist, Mutter?« Das Luftschiff legte ab.
Propellerschwirrend nahm es Fahrt auf, gewann an Höhe und entfernte sich. »Du verschweigst mir etwas, Mutter. Wozu die Geheimnistuerei? Warum kann ich Nomi erst heute Abend sehen? Aller Mars wusste, dass ich dem Rat Bericht erstatte. Ihr hättet einfach vor dem Präsidium auf mich warten können…«
»Der Erdmann bringt Zerwürfnis und Kampf in unsere Heimat, Maya. Schon ist der Rat gespalten. Wenn Cansu Alison ihren Willen durchsetzt – und sie wird ihn durchsetzen – dann verliert er das einzige, was ihm noch geblieben ist: sein Leben…«
»Woher weißt du von der Debatte im Rat?« Überflüssige Frage eigentlich – von Fedor Lux natürlich. Der Städtebauer hielt der Altpräsidentin also noch immer die Treue.
»Es ist in Ordnung, unsere Gesellschaft vor dem Erdmann zu schützen.« Vera Akinora überhörte die Frage einfach. »Wir müssen ihn sogar isolieren. So wie man jemanden in Quarantäne nimmt, der eine ansteckende Krankheit hat. Aber ihm das Leben rauben? Nein. Das widerspricht allen Gesetzen des Universums.«
»Es ist ein guter Mann, Mutter. Ich habe viel mit ihm gesprochen.«
Von der Seite musterte Vera Akinora ihre Tochter. »Du willst nicht, dass man ihn beseitigt oder auf unbestimmte Zeit einfriert, habe ich Recht?« Maya nickte stumm. »Ich bin stolz auf dich, mein Kind. Wir könnten beides erreichen: Sein Leben erhalten und zugleich unsere Gesellschaft vor der Verderbtheit schützen, die zwangsläufig von ihm ausgeht.«
»Wie soll das gehen, Mutter? Cansu Alison hat eine starke Hausmacht.«
»Arbeite mit uns zusammen, dann werden wir stärker sein als sie und ihre Hausmacht.«
»Mit uns?« Maya staunte ihre Mutter an. »Von wem sprichst du, Mutter?« Dabei wusste sie doch genau, von wem ihre Mutter sprach. »Mit wem soll ich zusammenarbeiten?«
»Mit mir und Windtänzer und dem Waldvolk«, flüsterte Vera Akinora.
***
Sie saßen an einer runden Tafel, etwa vierzehn Menschen, die meisten Frauen. Alle hoch gewachsen, alle bis auf einen, unnatürlich schlank für irdische Augen, alle mit ausgeprägtem Brustkorb und zahlreichen Pigmentstreifen auf der sonst überwiegend hellen Haut. Teilweise trugen sie fremdartige Kleider, aber doch nicht so fremdartig, dass der Mann von der Erde ihre Eleganz nicht sofort erkannt hätte.
Im Inneren des Tafelrunds flimmerte ein 3D-Feld und in dem Hologramm eine blaue Kugel – die Erde. Auf der Kugeloberfläche glitzerten einige rote Punkte. An den Wänden des achteckigen Raums leuchteten teils Landkarten, teils hingen dort großformatige Porträts. Eines kam Drax bekannt vor: kantige Züge, ausgeprägte Kinnpartie, tiefe Falte zwischen den Brauen. John Carter.
»Guten Tag, Ladies und Gentlemen«, sagte Matthew Drax und vergaß augenblicklich alle Worte, die er sich zurechtgelegt hatte. »Ich bin froh, Sie endlich persönlich sprechen zu können. Ich, äh… Sie verstehen sicher, dass ich…«
Er versuchte ein Lächeln, sah sich um und wartete darauf, dass ihm jemand einen Platz an der Tafel anbot oder ihn wenigstens angemessen begrüßte. Niemand tat es, niemand sagte ein Wort, nur über zwei Gesichter huschte so etwas wie ein Höflichkeitslächeln. Sie musterten ihn einfach, wie man ein seltenes Tier mustert; sekundenlang, alle.
»… Sie verstehen sicher, dass ich ein wenig nervös bin. Bis vor etwa sechzehn Wochen, von denen ich zwölf in einer Tiefkühltruhe zubringen musste, ahnte ich nichts von Ihrer Existenz, und nun…« In seiner Ratlosigkeit hob er die Hände, und jetzt gelang ihm endlich das Lächeln. »… nun stehe ich vor Ihnen.«
Eine alte Dame räusperte sich. »Wir hoffen, es hat Ihnen nicht allzu viele Unannehmlichkeiten bereitet, den größten Teil des Fluges im Kälteschlaf verbringen zu müssen, Commander Drax«, ergriff die Marslady endlich das Wort. Sie trug einen dunklen Anzug und ein dunkelrotes Hütchen mit einer
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