156 - Die Rache der Schattenfrau
einen der unterirdischen Gänge, die der Leichenfresser gegraben haben mußte.
Doch dann wich auf einmal alle Kraft aus mir.
Ich hörte die Erde über mir beben.
Irgend etwas mußte geschehen sein. Dann begriff ich, daß das Reich König Jans zu Ende gegangen war. Die Truppen des Bischofs hatten die Stadt eingenommen.
Hilflos lag ich da. Der Haß und die Gier nach Rache waren noch in meinem Hirn, aber sie wurden schwächer.
Bernhard Rothmann mußte die Stadt mit Isoldes Satansbrut verlassen haben.
Ich wußte, daß ich lange würde warten müssen, bis sie nach Münster zurückkehren und meinen Haß wiedererwecken würden…
Der Dämonenkiller ahnte, welche Qualen die Schattenfrau in den vierhundertfünfzig Jahren hatte ertragen müssen. Er wunderte sich, daß sie den jungen Christoph von Waldeck, den sie für den Sohn des Bischofs hielt, nicht für alles verantwortlich machte. Denn wenn er sie genauso geliebt hätte wie sie ihn, wären sie aus Münster geflohen, und Elisabeth Wandscherer wäre das furchtbare Schicksal der Untoten erspart geblieben.
Doch offenbar war die Liebe der Frau zu ihm so groß, daß sie ihm alles verzieh, wenn er sich diesmal für sie entschied.
Der Junge schwebte in einer tödlichen Gefahr.
Die Schattenfrau hatte bereits ein junges Leben vernichtet. Sie hatte nicht Gabi Brock gemeint, sondern in ihr ihre Ahnin Anna Kibbenbrock gesehen, die ihrem Körper einen Tritt versetzt hatte. Dorian konnte es nicht zulassen, daß noch mehr Menschen von der Schattenfrau getötet wurden.
Sein Mitleid für sie war groß. Doch er mußte sie töten, um die Nachkommen der Königsfrauen zu retten, auch wenn diese von dem Dämon Beatha Wolf beeinflußt waren.
Christoph von Waldeck schob sich an der Quadermauer des Verlieses entlang, um aus der Reichweite des Schwertes zu gelangen. Angst erfüllte ihn. Seine geistige Verwirrung hatte sich verflüchtigt. Er begann, die Wirklichkeit zu begreifen. Doch die war so schrecklich, daß sie ihn wieder in den Wahnsinn zu treiben schien.
Es war, als hätte die Schattenfrau die Gedanken des Dämonenkillers gelesen. Sie packte das Sendschwert mit beiden Knochenhänden und wollte es hochschwingen.
Dorian spürte einen wischenden Hauch.
Coco hockte plötzlich nicht mehr neben ihm. Sie hatte sich in den schnelleren Zeitablauf versetzt, ihm den Kommandostab aus der Manteltasche geholt, ihn ausgezogen und dem auf Christoph niedersausenden Schwert entgegengestreckt.
Die Klinge klirrte laut.
Die Schattenfrau schrie wütend auf, als Coco mit dem Kommandostab auf sie eindrang. Sie wich zurück. Der schwarze Umhang bauschte sich auf, war für Sekunden noch in der Wand zu sehen, dann verschwand auch er wie die ganze Gestalt der Schattenfrau, für die Wände kein Hindernis waren.
Dorian hatte den zweiten Kommandostab hervorgeholt. Er trat auf die Querwand zu und stieß mit der Spitze dagegen. Es gab ein dumpfes Geräusch, aber nichts geschah.
Sie blickten sich an.
Coco zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Ahnung, wie sie diesem Verlies entkommen konnten. Sie ging an der Wand entlang und klopfte mit dem Kommandostab jeden Quader ab.
Dorian ging neben Don Chapman in die Knie.
„Irgendwas gebrochen?" fragte er leise.
Der Puppenmann schüttelte den Kopf.
„Ich glaube nicht", sagte er gepreßt.
Christoph von Waldeck erhob sich zitternd. „Wie komme ich hierher?" fragte er schrill.
Coco trat neben ihn.
„Die Schattenfrau hat uns hierhergebracht", sagte sie. „Beruhigen Sie sich, Herr von Waldeck. Elisabeth Wandscherer ist eine Untote, die ihre Ruhe nicht finden kann. Sie hat Sie mit einem Urahn Ihrerseits verwechselt. Warum sind Sie nach Münster gekommen?"
Der Junge wischte sich mit dem Handrücken den kalten Schweiß von der Stirn.
„Irgend etwas zwang mich dazu", murmelte er. „Ich hatte nicht die Kraft, mich dagegen zu wehren." „He - Phillip!" sagte Don Chapman.
Der Hermaphrodit hatte sich erhoben. Er war zu einer Wand hinübergegangen. Seine schmalen, blassen Hände glitten über einen Quader, und als der Dämonenkiller genauer hinsah, erkannte er, daß der Mörtel in den Ritzen rundherum zu bröckeln begann.
Er war gleichzeitig mit Coco neben Phillip. Mit der Spitze des Kommandostabs stieß er in die Ritzen und vertiefte sie. Schweiß begann ihm in den Kragen zu laufen. Trotz der feuchten Kühle in dem Verlies zog er seinen Mantel aus und arbeitete fieberhaft weiter. Seine Uhr zeigte ihm an, daß die Zeit schnell vergangen war. Bald würde es
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