1564 - Wenn die Toten sprechen
den Mann in Sukos Armen gesehen hatte.
Sie blieb bei uns stehen und schlug die Hände vor ihr Gesicht.
»Das ist Mike Hartmann«, flüsterte sie. »Er und seine junge Frau haben hier gewohnt. Sie zogen aus, nachdem der Mord geschehen war. Mein Gott, die beiden haben doch nichts getan.«
Ich spürte den Stich in meinem Herzen. Die Höllenbrut machte wirklich vor nichts Halt. Eiskalt brachte sie unschuldige Menschen um, nur um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Tränen schimmerten in Marias Augen, als sie sich vorbeugte und sich neben Mike Hartmann niederkniete. Der junge Deutsche bäumte sich noch mal auf, und sein Gesicht nahm plötzlich einen ganz anderen Ausdruck an. Seine Haut wirkte auf einmal durchsichtig.
Wir störten Maria nicht, als sie sich über das Gesicht beugte. Von der Seite her sah ich sein rechtes Auge und sah, dass der Blick darin brach.
Mike Hartmann lebte nicht mehr! Maria Conti aber blieb neben ihm. Uns war bewusst, dass sie jetzt ihre andere Kraft einsetzte, um die letzten Gedanken des Mannes kurz vor seinem Tod zu erfahren.
Niemand sprach. Wir waren eingehüllt von einer bedrückenden Stille, als stünde der Tod persönlich hautnah neben uns.
Die Zeit zog sich dahin. Meinem Gefühl nach dauerte es sehr lange, bis sich Maria wieder erhob. Ich warf einen Blick in ihr Gesicht. Es war fast ohne Ausdruck, aber ich sah auch ihr Zittern.
Die schweißfeuchten Hände wischte sie an ihrer Kleidung ab. Erst dann begann sie zu sprechen.
»Ja, er ist tot. Die Wunden waren zu schlimm…«
»Hast du noch etwas herausfinden können?«, flüsterte ich ihr zu.
Sie nickte. »Seine letzten Gedanken galten seiner jungen Frau Silke. Ich konnte sie empfangen.«
»Und?«
Maria hob ihre Schultern. »Es ist einfach schrecklich«, flüsterte sie.
»Mike haben sie nun schon getötet. Silke noch nicht. Sie befindet sich in ihren Klauen…«
Ich schloss für einen Moment die Augen. Das war eine Szene, wie ich sie mir ganz und gar nicht gewünscht hatte. Hier hatte das Grauen wieder voll zugeschlagen.
»Warum die beiden?«, fragte ich.
»Kannst du uns darauf eine Antwort geben, Maria?«
»Ja. Sie haben hier gewohnt. Vielleicht hat man angenommen, dass sie Zeugen des Mordes an Edith Butler gewesen waren. Mike Hartmann ist tot, aber seine Frau Silke lebt noch.«
»Und ich kann mir auch denken warum«, sagte Suko. »Sie ist so etwas wie ein Lockvogel für dich. Wenn du dich nicht zeigst oder zu ihnen gehst, wird sie sterben.«
»Ja«, murmelte Maria, »genau das wird geschehen…«
***
Es war wieder mal ein Moment, in dem die Zeit einfach nicht mehr weiter vorrücken wollte. In Augenblicken wie diesen musste man sich einfach hilflos vorkommen. Da machten auch wir keine Ausnahme.
Maria Conti weinte. Sie hatte sich gegen die Wand gelehnt und schüttelte den Kopf. Dabei suchte sie nach Worten, um das Grauen erklären zu können, und sie fand welche, die zutrafen.
»Meine Begabung kann ein Fluch sein. Aber auch ein Segen. In diesem Fall ist sie ein Fluch. Ja, ein Fluch. Ich muss es so sehen. Alles ist anders geworden. Die Hölle hat nicht aufgegeben. Sie hat ihren Partner, den Tod, geschickt, und ich weiß, dass sie mich nicht aufgegeben hat und mich ebenfalls umbringen will.«
Weder Suko noch ich widersprachen. Maria hatte recht. Sie passte nicht in diese Welt, obwohl sie Gutes tun wollte. Aber wo Licht ist, da lauert auch der Schatten, und der hatte sie leider nie losgelassen.
Flehend und traurig schaute sie uns an, während sie mit zitternder Stimme fragte: »Was soll ich denn jetzt tun? Bitte, gebt mir einen Rat. Ich bin völlig hilflos.«
»Du könntest abwarten«, schlug Suko vor.
»Was sagst du da?«
»Ja, es ist am besten, wenn du wartest. Natürlich zusammen mit uns. Du hast bisher nur eine Warnung erhalten. Sie ist der Anfang, aber sie schreibt dir nicht den Weg vor. Du weißt jetzt, dass sie dir nahe sind. Das haben sie mit dem Toten hier bezweckt. Und sie wollten dich schockieren, was ihnen ebenfalls gelungen ist. Ich denke mir, dass dich bald eine Nachricht erreichen wird, der du folgen sollst.«
Maria hob jetzt den Kopf, um Suko anzuschauen. »Und dann? Weißt du auch, was dann geschehen wird?«
»Ja. Man wird dir erklären, dass du zu ihnen kommen sollst. Und wenn du dich weigerst, werden sie auch Silke töten. So funktioniert das leider, und ich denke nicht, dass ich mich irre.«
Maria überlegte, hob die Schultern und flüsterte mit kaum zu verstehender Stimme: »Soll ich denn
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