1564 - Wenn die Toten sprechen
mitgegeben, um meine andere zu unterstützen.«
Das Gehörte hatte zwar unwahrscheinlich geklungen, doch diesen Begriff hatten Suko und ich aus unserem Wortschatz gestrichen. Um es einfacher zu sagen: Es gab nichts, was es nicht gab.
»Glaubt ihr mir denn?«
»Ja«, sagte ich und sah, dass auch Suko nicke.
»Uns kann kaum noch etwas überraschen.«
Sie nickte und flüsterte: »Ihr seid schon seltsame Menschen, aber ich freue mich, euch getroffen zu haben.«
»Wir sind auch froh darüber, aber ich mache mir auch Sorgen um dich.«
»Was ist der Grund?«
»Dass du gejagt wirst. Du bist nicht frei. Und mich würde interessieren, was du jetzt vorhast. Man hat dir deine Heimat genommen, wenn ich das richtig sehe. Du stehst jetzt vor einem Problem. Wohin willst du gehen?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Hier war ich sicher. Aber jetzt…«
Suko meldete sich mit einer Frage. »Was ist, wenn du wieder zurück in das Kloster gehst, aus dem du gekommen bist?«
»Nein, das ist nicht mehr möglich. Es hat sich aufgelöst. Keine Nonnen mehr, die mich hätten aufnehmen können. Außerdem befindet es sich in Italien.« Sie lachte, als sie unsere überraschten Blicke sah. »Ja, ich habe den Weg von Italien bis hierher geschafft. Und noch etwas. Ihr sollt nicht denken, dass ich ein Kind bin. Ich sehe so aus, aber ich bin bereits achtzehn Jahre alt, obwohl ich meistens erzähle, dass ich erst fünfzehn bin. Manche Menschen wirken eben sehr jung.«
»Das sehe ich«, sagte ich.
Die nächste Bemerkung überraschte mich.
»Manchmal ziehe ich mich auch auf den alten Friedhof hier in der Nähe zurück«, sagte sie.
»Warum?«
Sie lächelte etwas verloren. »Es gibt dort sehr schöne einsame Stellen. Ich sehe ihn als einen Park an. Es wird niemand mehr dort begraben, aber die Toten liegen noch dort.«
»Und du hörst sie?«
»Ja, ich kann sie hören. Ihre Stimmen sind überall. Wenn ich über den Friedhof gehe, dann sind meine Ohren voll von ihren Stimmen. Aber ich kann nicht wiedergeben, was sie sagen. Es ist nur ein heilloses Durcheinander in meinen Ohren. Ein Wispern und Zischeln. Doch ich weiß dann, dass ich nicht allein bin.«
»Auch das hast du vor deiner Rettung nicht erlebt, oder?«
»So ist es.«
Ich schwieg und hing dabei meinen Gedanken nach. Sie bewegten sich auch in den Gefilden der Vergangenheit, und ich dachte darüber nach, ob ich schon jemals jemanden wie Maria Conti kennengelernt hatte. Soweit ich mich erinnern konnte, war das nicht der Fall gewesen. Sie war wirklich einzigartig, und ihre Fähigkeit, sich plötzlich auflösen zu können, hatte auch nichts mit den Kräften zu tun, die in Glenda Perkins schlummerten.
Was sollte mit dieser jungen Frau geschehen? Es war eine Frage, die mich beschäftigte, und eine Lösung fiel mir auf der Stelle nicht ein.
Wenn ich davon ausging, dass jedes Wort stimmte, was sie uns gesagt hatte, dann war sie in Gefahr und musste mit der Angst vor den Verfolgern leben, die sie als Schergen der Hölle bezeichnet hatte. Wer sie waren, wie sie aussahen, das war mir unbekannt, aber ich setzte darauf, dass es keine Dämonen waren, sondern irregeleitete Menschen, die sich dem Teufel verschrieben hatten und keine Gnade kannten. Edith Butlers Tod war Warnung genug gewesen.
»Du denkst an die Zukunft, nicht wahr?«
»Ja, das tue ich.«
»Lass es, John. Bringt euch nicht in Schwierigkeiten. Geht euren Weg, ich nehme den, den ich gehen muss. Alles andere können wir vergessen.«
»Das will ich nicht.«
»Ihr müsst.«
»Nein. Suko und ich werden nicht zulassen, dass man dich fängt und auch tötet.«
»Meinst du?«
»Ja.«
»Dann unterschätzt du die andere Seite. Sie hat nicht vergessen, dass ich ihr entronnen bin. Und etwas von ihr steckt noch in meinem Innern. Sie hatten mich schon so weit, dass ich fast der Hölle gehörte. Im letzten Augenblick wurde ich ihr entrissen. Sie haben mich beschworen, glaube ich, denn in meinem Zustand damals bekam ich nicht so viel mit…«
Ich unterbrach sie. »Und wo ist das passiert? Kannst du das sagen? Noch in Italien oder erst hier in London?«
»Nicht hier.«
»Dann haben wir es also mit Teufelsdienern aus Italien zu tun, nehme ich an.«
»Das muss man so sehen. Aber sie sind international. Und das bedeutet, dass es für sie keine Grenzen gibt. Man kann sich nirgendwo auf der Welt vor ihnen verstecken. Man muss sich eben stellen, und das habe ich auch vor.«
»Aber nicht allein. Wir
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