1566 - Das Musical-Gespenst
Kehle!
An ihren gezackten Rändern war das Blut geronnen, und Johnny kam eine schlimme Idee. Er konnte sich plötzlich vorstellen, wer diese Frau umgebracht hatte. Diese Schlange mit dem grässlichen Maul.
»Willst du sie weiterhin anschauen?«
»Nein, nein. Ich möchte nur wissen, wie sie heißt.«
»Josy Prescott. Aber ich sage dir, dass sie sehr schnell vergessen sein wird. Das ist sie eigentlich schon jetzt. Denn ab Morgen bin ich auf der Bühne.«
»Es wird auffallen«, flüsterte Johnny.
»Na und? Das soll es auch. Ja, ich will, dass ich auffalle und ich so in der Erinnerung der Menschen bleibe.« Sie schaute ihn unter der Hutkrempe hervor an. »Du wirst nichts mehr davon haben. Ebenso wie dein Freund. Neugierde zur unrechten Zeit kann manchmal tödlich enden.«
Johnny wich zurück. Er hörte Indra lachen, die wieder nach dem Stab griff.
»Das hier ist meine Welt. Und wenn ich nicht will, kann ihr niemand entkommen. Was habe ich mich über euren Befreiungsversuch amüsiert. Das war wirklich herrlich. Aber ich will nicht, dass ihr so verschwindet, wie ihr gekommen seid. Ich habe auch eure Namen erfahren können. Du heißt Johnny, nicht?«
Er gab darauf keine Antwort. Dafür sagte er: »Damit kommst du nicht durch, das schwöre ich dir.«
»Rechnest du mit einer Rettung?«
»Das weiß ich nicht!«, schrie Johnny sie an. »Ich weiß nur, dass man meinen Freund und mich suchen wird, und man weiß genau, wo man uns zu suchen hat. Man wird dich finden und dann…«
Indra unterbrach ihn. »Glaubst du wirklich, dass ich mich vor euch Menschen fürchten muss?«, höhnte sie. »Denk doch nicht an so etwas, Johnny. Ich habe keine Furcht vor den Menschen, denn ich stehe über ihnen.«
»Wie denn?«
Sie senkte die Stimme und war trotzdem gut zu verstehen. »Glaubst du nicht, dass es noch andere Kräfte gibt, die einem Menschen über sind? Und dass ich einen Teil dieser Kräfte bei mir gebündelt habe? Es ist vorbei mit euch, finde dich damit ab.«
Genau das wollte Johnny nicht. Das hatte er noch nie getan. Er war kein kleines Kind mehr. Er konnte sich wehren, er konnte kämpfen, aber er wusste auch, dass seine Chancen sehr gering waren, gegen Gestalten wie Indra anzukämpfen, die unter dem Einfluss einer anderen Macht standen.
Indra ließ ihm Zeit bei seinen Überlegungen. Sie war zudem darauf erpicht, sich an seiner Angst zu weiden. Johnny machte es ihr auch leicht, indem er sich etwas unkontrolliert bewegte und dabei mehrmals mit beiden Händen über sein schweißnasses Gesicht strich. Seihe Lippen zuckten, ohne dass er etwas sagte, doch in seinem Kopf nahm ein Plan Gestalt an, wie er und Stevie überleben konnten.
Viel Zeit würde Indra ihm nicht mehr lassen. Johnny dachte an den Kampf, der unausweichlich war. Aber er wollte sich auch einen Vorteil verschaffen und huschte aus dem Stand und ohne Vorwarnung weg…
***
Mit dieser Aktion hatte er sogar ein Wesen wie diese Indra überraschen können. Noch bevor sie reagierte, war Johnny aus ihrem Blickfeld verschwunden, und er wusste genau, welchen Weg er nehmen musste.
Er hätte ihn sogar in der Dunkelheit gefunden, was er nicht wollte, weil das zu viel Zeit gekostet hätte, und so ließ er die Lampe in seiner Hand brennen.
Ihr Schein tanzte hektisch auf und ab. Wie ein heller Geist glitt er wenig später über das mit Masken gefüllte Regal, schweifte weiter und geriet an die Stellen, wo die exotischen Waffen und Kleidungsstücke hingen.
Er dachte dabei weniger an die Peitschen und Fesseln, die ihm aufgefallen wären, sondern eher an die Schlagstöcke, die zu diesen Utensilien zählten. Einer davon war besonders lang gewesen und hatte auch so etwas wie eine Spitze.
Danach suchte er.
Noch hatte Johnny Zeit. Er sah Indra nicht. Dafür hörte er sie. Es war ihr hämisches Lachen, das ihn verfolgte und auch ankündigte, dass er es niemals schaffen würde, ihr zu entkommen.
Johnny ließ das Licht über die Wand huschen. Schon beim ersten Versuch hatte er Glück. Neben den Peitschen und Fesseln sah er auch die Stöcke, und er suchte sich den längsten davon aus. Er hing an einem Haken.
Johnny löste ihn mit einer knappen Bewegung. Er sah, dass die Stange so eine stählerne Spitze hatte, und hoffte, sich Indra damit vom Hals halten zu können.
Dabei glaubte er nicht daran, dass er sie endgültig würde ausschalten können. Einen Versuch war es zumindest wert.
Die Stange hielt er in der rechten Hand fest, weil er die linke noch für seine Lampe brauchte.
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