1566 - Das Musical-Gespenst
dass die Gefahr bereits vorbei war.
Die nächste Bemerkung der Gestalt überraschte ihn.
»Du kannst gehen…«
Johnny zuckte zusammen. Mit vielem hätte er gerechnet, nur damit nicht.
Zwar hatte sie ihm das gesagt, doch er traute dem Frieden nicht. Die Gefahr war nur aufgeschoben, nicht aufgehoben, und darauf musste er sich einstellen.
»Dreh dich um und geh vor.«
»Wohin?«
»Zu deinem Freund!«
Die Information reichte Johnny aus. Er wusste, wo sich Stevie Mulligan aufhielt. Das Licht war die Quelle, die ihm den Weg wies, und genau in die Richtung ging er.
Er hörte zwar nichts, doch er wusste genau, dass Indra hinter ihm blieb.
Sie würde einen Teufel tun und ihn aus den Augen lassen. Das war ihr Spiel, und das würde es auch bleiben.
Johnny machte sich nichts vor. Dieses Gespenst spielte mit ihm. Indra hatte ihre Pläne, und sie hatte vielleicht vor, sie dort in die Tat umzusetzen, wo Stevie wartete.
Sein und Stevies Schicksal stand ihm genau vor Augen, er brauchte nur an die Tote in der Truhe zu denken. Plötzlich dachte er daran, was geschehen würde, wenn am nächsten Abend das Musical über die Bühne lief. Es würde von einer Hauptperson besetzt sein, die kein Mensch war, und es würde nicht mal auffallen, denn die Tote und Indra glichen sich aufs Haar.
Johnny war das Tempo nicht vorgegeben worden. Und so ging er recht langsam. Er wollte das Schicksal hinauszögern, es war eine rein menschliche Reaktion, denn jeder andere in seiner Lage hätte das Gleiche getan.
Es war nicht mehr das Licht einer kleinen Taschenlampe, das ihnen den Weg wies. Indra hatte selbst eine kleine Lampe eingeschaltet. Sie stand ein wenig schräg versetzt unterhalb der Luke und ihr Schein erreichte auch den Tisch.
Auf ihm hockte Stevie. Er hielt den Kopf gesenkt, sodass er sie nicht sehen konnte. Mit den Händen stützte er sich an der Tischplatte ab, so konnte er nicht fallen. Von seinem Gesicht war nichts zu sehen, dabei hatte er schon etwas bemerkt, denn er hob plötzlich den Kopf an und blickte auf.
Johnny sah das Zucken in seinem Gesicht. Sie sprachen kein Wort miteinander, doch jedem war klar, was diese Szenerie zu bedeuten hatte.
Es gab keine Chance mehr!
Johnny blieb stehen.
»Hi, Stevie…«
Ein keuchender Laut war zu hören. »Du - du lebst?«
»Klar.« Johnny grinste, was ihm schwerfiel, aber er wollte seinem Freund Mut machen. »So leicht bin ich nicht klein zu kriegen.«
»Ja, das sehe ich.« Einen Moment später wechselte Stevie seine Blickrichtung. Er konzentrierte sich jetzt auf Indra, und da konnte er ein Stöhnen nicht unterdrücken. Er saß auch nicht mehr starr, sondern schwankte, und er konnte von Glück sagen, dass er nicht von der Tischkante rutschte.
»Da sind wir ja zusammen.« Indra freute sich. »Perfekt für das Musical-Gespenst. Für eine Geschichte, die zur Tatsache werden wird. Das Grauen, das durch das Stück schleicht, ist plötzlich echt geworden. Es gibt kein Zurück mehr für euch. Ich, Indra, schlage ab nun den Gong.«
Johnny hatte sich so weit gefangen, dass er Fragen stellen konnte.
»Was soll das alles? Das Gespenst ist eine Erfindung des Autors. Es gibt es nicht in Wirklichkeit…«
»Ach ja?«
»Dann erkläre es mir.«
Indra zögerte. Leicht bewundernd sagte sie: »Ich habe gedacht, dass du dich auf deinen Tod vorbereitest. Stattdessen stellst du Fragen. Du scheinst mir ziemlich neugierig zu sein.«
»Das bin ich immer.«
»Klar. Und jetzt stehst du vor einem Problem.« Indra hob die Schultern.
»Aber du hast dich geirrt. Der Autor des Stücks hat genau gewusst, was er da schrieb. Es war so etwas wie seine Lebensgeschichte, die nun auf der Bühne nachgespielt wird.«
»Von dir?«
»Jetzt schon. Der Autor ist tot. Ein Schauspieler hat seine Rolle übernommen. Er ahnt von nichts. Er weiß nicht, was bald mit ihm geschehen wird, wenn plötzlich die echte Indra auf der Bühne erscheint und dafür sorgen wird, dass er seinen Kampf verliert. Alles wird anders sein. Es wird keinen gespielten Tod mehr geben, sondern einen echten. Ein realistisches und böses Happy End, das ich auch für euch vorgesehen habe. Ihr werdet diese Umgebung - wenn überhaupt - nur als Tote verlassen. Das habe ich mir vorgenommen, und das halte ich auch durch bis zu eurem bitteren Ende.«
Stevie verlor die Nerven, was verständlich war. Er fing an zu schluchzen, Was eine Person wie Indra nicht berührte. Auch Johnny saß der Kloß der Angst wie ein dicker Brocken im Hals, an dem er fast zu
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