1567 - Der russische Rambo
Gefühlen geleitet wurde.
Er hatte Mühe, sich zu beherrschen. Ich sah es ihm an, dass er seine Lebensgefährtin am liebsten in die Arme genommen hätte, um mit ihr zu reden. Er hätte keine Antwort bekommen.
Ihr Gesicht war blass. Deshalb wirkten die braunen Haare dunkler, als sie es tatsächlich waren. Selbst die Lippen hoben sich kaum von der Haut ab, die auch wächsern wirkte.
Offen stehende Augen. Aber kein Blick. Einfach nur Leere. Und dann die Instrumente, an denen sie angeschlossen war, was sein musste, denn Karina wurde künstlich ernährt.
Ich wusste nicht, wie lange ich neben dem Bett stand. Mein Zeitgefühl war weg, und ich musste mich von dem Gedanken befreien, hier eine Tote vor mir zu haben.
Da war kein Atemzug zu hören. Ich sah keine Regung, kein Zucken, einfach nichts. Man konnte Karina als eine Puppe ansehen oder eine noch lebende Tote.
Neben mir bewegte sich Wladimir Golenkow. Er wischte über seine Augen und flüsterte: »Es ist einfach schrecklich, sie hier in diesem Zustand liegen zu sehen. Niemand weiß, wie lange es noch andauern wird. Das ist das Schlimme. Sie kann morgen wieder erwachen, aber auch erst in drei Monaten, Jahren oder überhaupt nicht. Das ist nun mal so, und daran kann man nichts ändern.«
»Ich weiß-«
»Aber wir müssen etwas tun«, flüsterte er scharf. »Dieses Koma ist nicht normal. Es steckt etwas anderes dahinter, und ich habe euch nicht grundlos herkommen lassen. Kann sein, dass wir es gemeinsam schaffen, John. Ich jedenfalls wäre überglücklich. Wir müssen die andere Seite in ihre Grenzen weisen und gewinnen. Vielleicht hat Karina dann eine Chance.«
Ich gab ihm keine Antwort. Auch deshalb nicht, weil ich einfach zu wenig wusste. Das würde sich ändern. Da konnte ich mich auf Wladimir Golenkow verlassen.
»Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, Wladimir. Das verspreche ich dir.«
»Das weiß ich ja. Deshalb habe ich euch gebeten, hierher nach Moskau zu kommen.« Er beugte sich über das Gesicht seiner Partnerin. »Du musst dir keine Sorgen machen, Karina«, sagte er mit zärtlich klingender Stimme. »Wir schaffen es. Jetzt bin ich nicht mehr allein. John und Suko sind gekommen. Sie wollen mir helfen, und ich verspreche dir, dass wir es schaffen. Du wirst sehen.« Er beugte sich noch tiefer und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Ich stand daneben und fühlte mich alles andere als wohl. Ein Schauer nach dem anderen rann über meinen Rücken.
»Reicht es, John?«
»Ja, ich habe mir ein Bild machen können.«
»Dann lass uns gehen.«
Ich war einverstanden und warf noch einen letzten Blick des Abschieds in Karinas Gesicht, das sogar auf eine gewisse Weise entspannt aussah, als wollte uns dieser Ausdruck sagen, dass wir uns keine Sorgen machen sollten.
Mein Freund Wladimir ging mit gesenktem Kopf neben mir her. Ich wusste, dass er mit seinen Gedanken weit weg war, und wollte ihn auch nicht ansprechen. Er reagierte erst wieder normaler, als wir den Chef des Ärzteteams trafen, der auf uns gewartet hatte.
Er war ein hagerer Mann mit mongolischen Gesichtszügen. Da er wusste, dass ich aus England kam, redete er in meiner Sprache.
»Bei der Patientin ist keine Änderung eingetreten.«
»Ist das ein gutes Zeichen?«
Der Arzt lächelte knapp, bevor er Wladimir die Antwort gab. »Zumindest kein schlechtes.«
»Danke, auch das gibt Hoffnung.«
»Selbstverständlich werden Sie sofort unterrichtet, wenn sich an ihrem Zustand etwas verändert.«
»Das hoffe ich.«
»Wir tun alles, was möglich ist, und ich kann Ihnen auch sagen, dass die Chancen so schlecht nicht stehen. Es gibt nicht wenige Patienten, die aus einem solchen Koma wieder erwacht sind.«
»Und wie erging es ihnen danach?«
»Unterschiedlich.«
Wladimir winkte ab. »Bitte, ersparen Sie mir Einzelheiten. Ich hoffe nur, dass Sie alles tun, damit sich der Zustand nicht verschlechtert.«
»Selbstverständlich, das werden wir.«
Es war alles gesagt worden.
Als wir die Station verlassen hatten und in einem Flur mit hellgrau gestrichenen Wänden standen, die an verschiedenen Stellen von Glasbausteinen unterbrochen wurden, fragte ich: »Bleibt es dabei, was wir besprochen haben?«
»Sicher.« Wladimir lächelte kantig. »Ich denke auch, dass Suko auf uns wartet.«
»So war es abgemacht.«
»Dann komm.«
Suko wartete auf uns in der Kantine. Auch hier war nichts zu sehen, was einen Gast zu einem längeren Aufenthalt bewegen konnte. Wer hier saß, der hatte sowieso Sorgen, und
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