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1567 - Die Auserwählten

Titel: 1567 - Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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verließ aber dennoch ihren Standort nicht. Was, wenn die Bäume oder die Roten auch im Dunkeln sehen konnten?
    Außerdem ging bald der Mond auf. Es war eine sehr helle Nacht. Hagea beobachtete weiterhin die Kommunikation der Riesen. Bald war sie so weit, daß sie in neunzig Prozent aller Bewegungen Sinn bringen konnte. Und mit jeder Stunde wuchs ihre eigene Angst. Mehr als die Hälfte der Linguiden war gefangen - wenn man dem Baum glauben durfte. Auf den Rest wurde gnadenlos Jagd gemacht, und gegen Morgen hofften die Riesen ihr Werk vollenden zu können.
    Das jedenfalls war Hageas Übersetzung.
    So kam sie auf den Gedanken, daß sie mit dem Baum sprechen mußte. Mit klopfendem Herzen analysierte sie weiterhin jede Bewegung, die sie sah. Die Ausdrucksmittel, die ihr zur Verfügung standen, nahmen sich gegen die des Baumes ärmlich aus. Zehntausende von Blättern gegen zwei Arme und zwei Beine.
    Doch sie konnte sich auf das Wesentliche beschränken. Eine fließende, wellenförmige Bewegung von links nach rechts bedeutete zum Beispiel Angst. Variationen in Tempo und Ausschlag deckten jede mögliche Nebenbedeutung ab. Sie mußte sich nur innerhalb der individuellen Realität halten, die für einen Baum zutraf.
    Im Liegen begann Hagea zu üben. So gut es ging, trainierte sie wildeste Verrenkungen; immer in der Angst, der Baum oder die Roten könnten sie trotz der Dunkelheit bemerken. Wie aber sollte sie als Linguidin seitwärts fließen? Wie mit den äußeren Blättern gegeneinanderreiben?
    Als der Morgen graute, hatte sie erst für einen Bruchteil der Probleme Lösungen gefunden.
    Der Baum befand sich nach wie vor in heller Aufregung. Das legte sich erst kurz darauf.
    Er stellte fest, alle Feinde seien nun gefangen und in sicherem Gewahrsam. Die Riesen warteten nur noch auf einen bestimmten Moment - auf einen Augenblick, der in nächster Zukunft bevorstand.
    Hagea hatte wahnsinnige Angst um Bluda und ihren Vater Aerton, auch um Neido und die anderen.
    Denn eines wußte sie: Das bevorstehende Ereignis bedeutete für alle Linguiden den Tod. Ein paar Stunden noch ... allerhöchstens. „Nein!" schrie sie.
    Hagea sprang auf und rannte auf den Baum zu. Ihre Schritte waren kurz und hektisch, mehrmals wäre sie fast über Buschwurzeln gestolpert. Riffo warf ein Geflecht aus meterlangen, scharf begrenzten Schatten, die Luft wurde von warmen Strahlen aufgeheizt. „Hier bin ich, Baum!"
    Hagea blieb in zehn Metern Entfernung vom Stamm stehen. Die Krone reichte bis weit über ihren Standort hinaus, doch Hagea war sicher, daß der Riese sie mit den unteren Sinnesorganen besonders gut wahrnahm.
    Von allen Seiten stürzten nun die Roten heran.
    Bevor aber eine der Pflanzen bedrohlich in ihre Nähe kommen konnte, breitete Hagea ihre Arme aus.
    Die Fingerspitzen bewegten sich in langsamem, beruhigendem Wellenmuster. Es kostete sie alle geistige Kraft, den Rest des Körpers bewegungslos zu halten. Doch sie brauchte jeden Quadratzentimeter ihres Körpers als Ausdrucksfläche - und sie konnte es sich nicht leisten, etwas davon zu verschwenden.
    Die Roten! Da waren sie!
    Wurzeln streckten sich nach ihren Beinen aus - jedoch wurde sie nicht von den Beinen gerissen, im Gegenteil. Aus Greifwerkzeugen voller Kraft wurden streichelnde Pflanzenteile. Sie hatte Erfolg.
    Obwohl sie noch ein Kind war, keine Schlichterin und nicht einmal die Schülerin einer Sprachschule, hatte sie Erfolg.
    Und Hagea begann das, was sie ihren Baumtanz nannte. Nach und nach bezog sie die Arme ein, dann in kreisenden, sachten Bewegungen den Rumpf und schließlich sogar die Gesichtsmuskulatur.
    Jede einzelne Bewegung diente dazu, sich selbst als friedfertig darzustellen.
    Der Riese reagierte.
    Er begrüßte sie geradezu als Freund, als eine willkommene Bereicherung seiner Welt.
    Die Gelegenheit ließ sich - Hagea nicht entgehen. Sie schlug unverzüglich den Bogen zur zweiten Bereicherung, nämlich zu dem jungen Baum, der nahe der Linguidensiedlung wuchs. In ihrem Baumtanz wurden sie und der junge Baum zu Freunden.
    Hagea versuchte zu erklären, weshalb ihre Artgenossen stumm waren, weshalb sie die Sprache der Bäume nicht beherrschten. Und als zwei Stunden vergangen waren, hatte der Baum begriffen. Sie hörte das alarmierte Rauschen in seinen höchsten Regionen. Alle anderen Riesen erfuhren nun von dem, was geschehen war ?von der Linguidin, die die Sprache der Bäume, sprach.
    Ein Signal erreichte sie.
    Geh, hieß das. Bewege dich, so schnell du kannst. Folge. Höchste

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