1567 - Die Auserwählten
einem Kilometer Durchmesser.
Das Hansekontor in unmittelbarer Nachbarschaft wirkte dagegen schäbig. Es handelte sich um ein Zweckgebäude - zwar riesig und durchaus kunstvoll gestaltet, jedoch ohne Seele. „Wir landen hier", hörte sie Bransor Manella sagen.
Eine Minute später ging der Gleiter auf einem Stellplatz für Besucher nieder. Und nun, setzte sie in Gedanken hinzu, widmen wir uns den wirklich wichtigen Dingen. Den Ferronen und ihrer Geschichte.
*
Zum erstenmal begegneten sie am Portal einem Ferronen aus der Nähe.
Die Mitglieder dieses Volkes waren humanoid, sogar sehr menschen- und linguidenähnlich. Da alle drei Völker dieselben Stammväter hatten, war das kein Wunder. Sie waren meist um die einssechzig groß und sowenig behaart wie Terraner. Am ungewöhnlichsten war vielleicht der Farbton ihrer Haut: ein blasses Blau, dessen biologischen Sinn sich Hagea nicht erklären konnte. Dazu bildete ein meist kupferfarbener Haarschopf einen harten Kontrast.
All das hatte sie schon dem Datenspeicher der DARMIR entnommen.
Der Mann am Portal repräsentierte fast exakt den Durchschnitt seines Volkes. Der Mund war noch etwas kleiner, die Stirn über den tiefliegenden Augen wölbte sich noch etwas weiter vor als normal.
Hagea analysierte gewohnheitsmäßig seine Persönlichkeit. Seit langer Zeit hatte dieser Mann jeden Ehrgeiz verloren. Inzwischen sonnte er sich im Gefühl, den Palast des Thort zu bewachen - was natürlich ein völliger Trugschluß war. Dieser Mann hatte keinerlei praktische Bedeutung, es sei denn für das Protokoll.
Dennoch stellte sich die Linguidin auf seine persönlichen Eigenheiten ein. Sie behandelte ihn so, wie er behandelt werden wollte. „Ich grüße dich mit Respekt", sagte sie. „Wir sind Bransor Manella und Hagea Scoffy, zwei Linguiden. Wir würden gern den Thort sprechen, wenn es sich einrichten ließe."
Dabei begleitete sie ihre Worte mit unterschwellig wirksamen Gesten, die hoffentlich auch von einem Ferronen verstanden wurden. Hundertprozentigen Erfolg konnte sie nicht garantieren; dazu weilten sie noch nicht lange genug auf Ferrol. „Völlig unmöglich", blockte der Türsteher ab. Seine Augenbrauen hoben sich in blasierter Arroganz. „Es existiert eine Warteliste, die über vier Jahre reicht. Soll ich euch auf die Liste setzen?"
Die letzte Frage war verräterisch. Ihr Wortlaut ließ Hagea schließen, daß sie Zugang zu ihm gefunden hatte, sonst hätte der Ferrone niemals von sich aus ein Angebot gemacht.
Mit einem raschen Blick holte sie für die nächsten Schritte Manellas unausgesprochenes Einverständnis ein. „Wir verstehen", wandte sie sich höflich an den Türsteher, „daß unsere Namen dir nicht geläufig sind. Aber wir sind zwei linguidische Friedensstifter."
„Die Obersten unseres Volkes", setzte Bransor Manella hinzu.
Hagea sah ihn böse von der Seite an. Sie waren eben nicht die Obersten, sondern standen mit jedem anderen Wesen, jedem anderen Linguiden auf einer Stufe. Doch genau das war es, was die Superintelligenz ES mit dem Geschenk des ewigen Lebens zerstört hatte. Vierzehn Friedensstifter, die vielleicht talentiertesten ihres Volkes, kannten ihren Platz nicht mehr.
Auf den Ferronen jedoch wirkten Bransor Manellas Worte. Er kam nicht auf den Gedanken, die Information anzuzweifeln. „Ich habe von euch gehört ..." Seine Überheblichkeit wich offenem Staunen. „Aber weshalb meldet ihr euch nicht offiziell an? Zwei Friedensstifter an meiner Pforte? Ich fasse es nicht."
„Also ist es möglich, eine Audienz zu erhalten?" hakte sie nach. „Selbstverständlich. Ich ahnte nicht, daß es sich um einen Staatsbesuch handelt. Wartet ein paar Minuten. Ich versuche, den Thort zu informieren."
*
Eine halbe Stunde später führte eine prächtig ausstaffierte Eskorte sie durch den Roten Palast.
Dabei repräsentierte jeder längere Gang offenbar eine geschichtliche Epoche des Planeten. Die Wände zierte eine Unzahl verschiedenster Kunstgegenstände, und in Vitrinen bewegten sich Miniaturhologramme von Ferronen, die zur entsprechenden Zeit gehörten. Fünfhundert Meter wurden zu einem Querschnitt aus Mode, Sitten und Stand der Technik.
Vor den Räumen des Thort standen zehn Ferronen Spalier. Sie waren unbewaffnet, suchten aber mißtrauisch mit den Augen die Linguiden nach Waffen ab.
Hagea und ihr Begleiter traten durch ein Portal in eine Halle. In die Wände eingelassen fanden sich modernste Kommunikationsgeräte. Ferrol hatte längst den
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