1571 - Der fliegende Tod
Vogel denken. Das war in der Nacht, jetzt aber ist Tag.«
»Dann viel Glück!«
»Danke!« Frank Herzog drehte sich um und verschwand im Haus.
Wir blieben zurück, und es gab keinen von uns, dessen Gesicht nicht einen nachdenklichen Ausdruck gezeigt hätte.
»Ich habe kein gutes Gefühl«, sagte Harry.
Dagmar schwieg. Allerdings sahen wir ihr an, dass sie ähnlich dachte wie er.
Ich fragte: »Was ist mit dem Vogel?«
Niemand gab eine Antwort. Allerdings war die Atmosphäre schon gestört. Der Himmel erschien mir nicht mehr so blau wie vorher. Der warme Wind schien kühler geworden zu sein.
»Der Riesenvogel und das Kind«, sagte Dagmar. »Ich bin überzeugt davon, dass es einen Zusammenhang gibt. Und dann frage ich mich noch, wieso ich plötzlich das dritte Auge auf meiner Stirn hatte.«
»Eine Warnung«, sagte ich. »So etwas wie ein Vorzeichen. Oder siehst du das anders?«
»Nein. Eine Verbindung in die Vergangenheit. Mehr kann ich dazu nicht sagen.« Sie nickte vor sich hin. »Der Vogel stammt aus alter Zeit. Vielleicht sogar aus vorägyptischer, und da müssen wir nicht lange raten, wozu ich ihn zähle.«
»Atlantis!«, sagte ich.
»Ja.«
»Aber was hat das mit den Herzogs und der Geburt ihrer Tochter zu tun?«
Harry hob die Schultern. Er wusste keine Antwort. Alles lag in einem Nebel verborgen. Die Wahrheit und auch die Gefahren, die sich um sie rankten.
Ein großer Vogel war nicht am Himmel zu sehen, aber es war trotzdem nicht alles in Ordnung. Das lag an Dagmar Hansen, die ihre Stirn gerunzelt hatte und sehr nachdenklich wirkte.
Anders nachdenklich als normal, das merkten Harry und ich.
Wir stellten keine Fragen, Wenn sie etwas zu sagen hatte, würde sie es tun.
Ich machte mir ebenfalls meine Gedanken. Die Frau, der Vogel, das Kind - wo gab es da Gemeinsamkeiten?
Dagmar Hansen stand mit einer ruckartigen Bewegung auf. Für einen Moment bewegte sie sich nicht. Sie war plötzlich blass geworden, und ich glaubte, auf ihrer Stirn schwach das dritte Auge zu erkennen.
»Was ist los?«, fragte ich.
Dagmar gab eine Antwort. Sie sprach mit leiser Stimme und schüttelte auch den Kopf.
»Es geht nicht gut«, flüsterte sie, »Es geht nicht gut. Das Kind - die Geburt - ich habe Angst, große Angst um die Kleine…«
***
Es war schlimm gewesen. Bei Sonnenaufgang hatte Fatima Herzog die ersten Wehen gehabt. Die kleine Suleika wollte nicht mehr in ihrem Bauch bleiben.
Darauf hatte Fatima lange gewartet. Nun allerdings überkam sie ein ungewöhnliches Gefühl. Alles hatte sich geändert. Sie war plötzlich nicht mehr davon überzeugt, dass es für ihr Kind gut war, das Licht der Welt zu erblicken. Vielleicht wäre es besser, wenn Suleika noch im Mutterleib blieb.
Der nächste Wehenstoß.
Sie konnte den Schrei nicht unterdrücken und sah über sich das dunkle Gesicht der Krankenschwester schweben. Mary war bei ihr. Sie sollte Vertrauen geben, aber die Angst war in Fatima Herzog zu stark gewachsen. Sie vertraute nur einem Menschen, und das war ihr Ehemann.
Schweiß bedeckte ihr Gesicht. Sie fasste nach Marys Hand.
»Bitte, sagen Sie meinem Mann Bescheid. Rufen Sie ihn an. Und ich will auch, dass Dr. Jäger kommt. Er soll…«
»Keine Sorge, er weiß Bescheid.«
Mary lächelte. Für Fatima sah es aus, als würde sie grinsen.
Sie bäumte sich unter dem nächsten Wehenstoß auf, und dann hatte sie das Gefühl, von einer großen Dunkelheit verschluckt zu werden. Sie fiel in ein tiefes Loch und sah nicht mehr, dass sich die Krankenschwester neben ihrem Bett aufrichtete und zur Zimmertür schaute, die in diesem Augenblick geöffnet wurde.
Dr. Jäger erschien. Er schaute auf das Bett, sah seine Patientin und wandte sich mit einer knappen Frage an Mary. »Ist es so weit? Kann sie in den Kreißsaal?«
»Ja.«
»Okay, bereiten Sie hier alles vor.« Er ging wieder, weil er wusste, dass er sich auf seine Helferin hundertprozentig verlassen konnte.
Fatima Herzog merkte von alldem nichts. Sie lag still, wie bewusstlos.
Sie wurde aus dem Raum geschoben und in den Kreißsaal gebracht, wo die Geburt stattfinden sollte.
Man gab ihr eine Spritze. Das bekam sie im Unterbewusstsein noch irgendwie mit. Danach wurde die Welt um sie herum schwammig. Sie verlor ihre Dimensionen. Die Grenzen weichten auf, und Fatima konnte nicht sagen, wo sie sich befand.
Zwischendurch hörte sie Stimmen. Sogar ein leises Lachen, was beruhigend klingen sollte, bei ihr aber eher das Gegenteil bewirkte.
»Gutgut…«
»Und?
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