1571 - Der fliegende Tod
möchte ich es endlich sehen. Ich will es wie jede andere Mutter in meinen Armen halten. Das ist nicht verboten und völlig normal.«
»Das wird auch geschehen.«
»Wunderbar«, sagte Fatima sarkastisch. »Aber warum ist meine Tochter nicht bei mir, wenn doch alles glatt gegangen ist?«
»Das ist…« Die Schwester hob die Schultern. »Da hat es ein kleines Problem gegeben.«
»Also doch!«, flüsterte die junge Mutter und ihre Augen weiteten sich dabei.
»Nichts Schlimmes.«
»Was denn?«
Schwester Mary wand sich. »Ich kann nur sagen, dass es mit der Atmung zusammenhängt.«
»Wie?«
»Dr. Jäger wollte auf Nummer sicher gehen. Er hat die Kleine in ein Sauerstoffzelt legen lassen. Dort ist Ihre Tochter unter ständiger Beobachtung.«
»Und wie lange muss sie dort liegen?«
Mary hob bedauernd die Schultern. »Manche liegen nur Stunden im Zelt, bei anderen dauert es länger.«
»Tage?«
»Möglicherweise.«
Nach dieser Antwort glaubte Fatima Herzog, in sich selbst zusammenzufallen. Ihr war nie der Gedanke an eine Behinderung ihres Kindes gekommen. Jetzt schössen ihr diese schlimmsten Befürchtungen durch den Kopf, und sie wagte kaum, die entsprechende Frage zu stellen, weil sie sich vor der Wahrheit fürchtete.
Mary wollte ihr Mut machen und sagte mit leiser Stimme: »Sie dürfen sich nicht zu viele Sorgen machen, meine Liebe. Was mit Ihrer Tochter passiert ist, das kann man durchaus als normal bezeichnen. Das geschieht häufiger.«
Normalerweise hätte Fatima die Antwort hingenommen, aber in ihr steckte plötzlich ein tiefes Misstrauen. Sie hatte das Gefühl, Mittelpunkt einer Verschwörung zu sein, bei der sich alles um ihre kleine Tochter Suleika drehte.
»Wo ist Dr. Jäger?«
»Leider noch beschäftigt«, erwiderte Mary. »Er hätte längst bei Ihnen sein wollen, aber ihm ist eine Frühgeburt dazwischengekommen. Sobald da alles geregelt ist, wird er bei Ihnen erscheinen.«
»Ihre Ausreden werden immer dreister. Und ich habe das Gefühl, für dumm verkauft zu werden.«
»Wieso?« Mary zuckte zurück. »Wie können Sie das sagen? Dr. Jäger ist Ihr Freund!«
»Ach ja? Ist er das wirklich?«
»Natürlich.«
»Allmählich habe ich meine Zweifel daran. Freund! Dass ich nicht lache. Unter Freundschaft verstehe ich etwas anderes. Ach ja, dann will ich noch wissen, ob mein Mann informiert worden ist.«
»Selbstverständlich.«
»Dann müsste er doch schon hier sein.«
»Das kann ich nicht sagen. Es kommt auf den Verkehr an.«
»Jedenfalls möchte ich, dass Dr. Jäger so schnell wie möglich zu mir kommt und mir erklärt, was mit meiner Tochter wirklich passiert ist.«
»Da müssen Sie keine Sorgen haben.«
»Gut, dann lassen Sie mich jetzt bitte allein.«
»Gern. Brauchen Sie noch etwas?«
»Nein, zu trinken habe ich noch.«
»Ruhen Sie sich aus, Fatima. Bei einer Geburt verliert man viel Kraft.«
Fatima Herzog gab keine Antwort. Sie schaute der Krankenschwester auch nicht nach, als sie zur Tür ging und das Zimmer verließ.
Sie hatte sich so auf die Geburt gefreut, aber jetzt war alles anders geworden. Es war etwas geschehen, und sie ging davon aus, dass sie und ihre Tochter den Mittelpunkt bildeten.
Angst stieg wieder in ihr auf, stärker als je zuvor, und sie schien ihre Seele anzunagen…
***
Frank Herzog wusste nicht, ob er aufstehen oder sitzen bleiben sollte, als er seinen Freund Klaus Jäger auf sich zukommen sah. Er versuchte, von dessen Gesichtsausdruck abzulesen, was geschehen war, aber das gelang ihm nicht.
Der Arzt setzte sich Frank Herzog gegenüber.
Dem Grafiker schwirrten viele Fragen im Kopf herum. Er wollte sie auch stellen, doch es war ihm nicht möglich. Da gab es eine Sperre in seinem Kopf, und so musste er sich auf den Arzt und dessen Aussagen verlassen.
»Schön, dass du gekommen bist, Frank.«
»Das war doch wohl sicher.«
»Klar.«
Herzog starrte den Arzt an. »Und? Was kannst du sagen? Wie geht es meiner Frau und dem Kind?«
Klaus Jäger lächelte auf eine Art, die seinem Gegenüber gar nicht gefiel.
Er wollte schon nachfragen, als der Mann ihn von allein ansprach.
»Ich will ehrlich zu dir sein. Es hat Probleme gegeben. Es war eine sehr, sehr schwere Geburt, was ich bei den Voruntersuchungen nicht habe voraussehen können.« Er holte tief Luft. »Man steckt nicht drin. Die Natur hält immer wieder Überraschungen parat. So ist das nun mal.«
»Was soll das, Klaus?« Frank war ärgerlich geworden. Er hatte das Gefühl, an der Nase herumgeführt zu
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